Von Oliver Stortz

Esslingen - Sechs Jahrzehnte sind sie alt - aber kein bisschen müde, den Parteien in der Kommunalpolitik Paroli zu bieten: Die baden-württembergischen Freien Wähler feiern an diesem Samstag in der Osterfeldhalle in Berkheim ihren runden Geburtstag. 1956 wurde der Landesverband der Wählervereinigungen in Stuttgart gegründet. Manche der lokalen Gruppierungen sind sogar noch ein paar Jahre älter: In der Nachkriegszeit firmierten die Parteilosen bei Kommunalwahlen vielerorts etwa als Listen der „Haus- und Grundbesitzer“. Im württembergischen Landesteil gab es in den frühen Jahren auch enge personelle Verbindungen zur DVP und der 1952 im Südwesten aus ihr hervorgegangenen FDP. In diesen Wurzeln spiegelt sich das bis heute in den meisten Ortsverbänden vorherrschende Selbstverständnis als Teil des bürgerlichen Lagers wider.

Bei der Kommunalwahl 2014 konnten die Parteilosen ihre Position als mit Abstand stärkste Kraft in den Rathäusern behaupten - erneut holte fast jedes zweite Gemeinderatsmitglied sein Mandat über die Liste einer Wählervereinigung. Außerdem bekennen sich viele parteilose Bürgermeister zu den Freien Wählern, mal aus echter Überzeugung, mal wohl auch mit dem Hintergedanken, über deren Liste in den Kreistag einzuziehen. Schwer tun sich die Freien Wähler traditionell in den Großstädten. Ihre Vision von einer sachorientierten Kommunalpolitik und ihr zumeist von lokalen Honoratioren geprägtes Kandidatentableau verfängt beim urbanen Publikum weniger als in kleineren Gemeinden.

Unmut auf Landesebene herrscht über eine 2010 gegründete Partei, die als Freie Wähler Landesvereinigung firmiert und immer wieder zu Wahlen auf höherer Ebene antritt - zuletzt bei der Landtagswahl am 13. März mit einem bescheidenen Ergebnis von 0,1 Prozent. Juristisch scheiterte der Landesverband vor einigen Jahren mit dem Versuch, der als „Trittbrettfahrer“ empfundenen Konkurrenz die Nutzung des Namens zu untersagen. Die sogenannte Landesvereinigung ist eng mit dem Bundesverband der Freien Wähler verwoben, der stark bayerisch dominiert ist und aus dem die Baden-Württemberger 2009 im Streit ausgetreten waren.

Grupp und Kretschmann gratulieren

Eine Teilnahme an Landtagswahlen - daran hatte sich einst auch der Disput mit den Bayern entfacht - lehnt der Landesverband traditionell ab. Landespolitisch selbstbewusster will er allerdings werden, auch als Konsequenz aus der seit 2011 veränderten Farbenlehre im Südwesten. Mit der Wahl des Renninger Bürgermeisters Wolfgang Faißt zum Nachfolger des Dauervorsitzenden Heinz Kälberer hat im vergangenen Jahr eine neue Ära begonnen. Die vielfältigen Erwartungen der bei aller Gemeinsamkeit auch ziemlich heterogenen lokalen Wählervereinigungen in gemeinsame Positionen zu fassen, war in den vergangenen Monaten Aufgabe und Herausforderung für den neuen Landeschef. Unter dem Titel „Die Herausforderungen des Zukunftslandes Baden-Württemberg gestalten“ will Faißt bei der morgigen Jubiläumsfeier nun erstmals eine von den Mitgliedern mit Spannung erwartete Grundsatzrede halten. Zuvor aber geben sich die Gratulanten in Berkheim ein politisch farbenfrohes Stelldichein: Neben Esslingens Oberbürgermeister Jürgen Zieger (SPD) und Landrat Heinz Eininger (CDU) wird der bisherige und wohl auch künftige Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in Berkheim erwartet. Die Festansprache hält Trigema-Chef Wolfgang Grupp.