Daraus wird keine Traube: ein erfrorener junger Trieb an einer Rebe. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Susanne Kupke

Mannheim - Nach der vom Land finanzierten Erstaufnahme in Asylheimen, Zelten und Turnhallen und der vorläufigen Unterbringung beginnt für anerkannte Flüchtlinge das richtige Leben in den Kommunen. Die sogenannte Anschlussunterbringung ist Sache der Städte und Gemeinden - und eine große Herausforderung. Die Ankömmlinge brauchen Wohnungen, Arbeit, Sprachförderung, soziale Betreuung und für ihre Kinder Plätze in Kitas und Schulen.

„Jetzt heißt es, Flüchtlinge in unsere Gesellschaft zu integrieren und Wege zu finden, damit Zusammenleben gelingt“, sagt Baden-Württembergs Städtetagspräsidentin Barbara Bosch. Vor der Hauptversammlung ihres Verbandes morgen in Mannheim fordert sie schnelle und unbürokratische Hilfe vom Land.

Wie viele Flüchtlinge sind in der Anschlussunterbringung?

Schätzungsweise müssen an die 80 000 Neuankömmlinge in den Kommunen integriert werden. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil Flüchtlinge in diesem Stadium nicht mehr eigens statistisch erfasst werden. Sie sind dann wie Zuwanderer aus EU-Ländern als Ausländer registriert.

Was sind die größten Herausforderungen?

Vor allem die Job- und Wohnungssuche. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums können die meisten zu schlecht Deutsch, um eine Arbeit zu finden. 14 500 Flüchtlinge sind im Land aber schon beschäftigt, vor allem in der Gastronomie, im Logistik - und Metallbereich, beim Bau, in der Landwirtschaft oder in der Reinigungsbranche. Bei der Wohnungssuche konkurrieren Flüchtlinge mit Einheimischen. „Das wird ein großes Problem“, warnt Pforzheims Sozialbürgermeisterin Monika Müller. Sie befürchtet steigende Mieten und einen Verdrängungswettbewerb.

Was sind die Nöte der größeren Städte?

Sie haben eine „Sogwirkung“: Zu viele zieht es dorthin - auch, weil sie sich mehr Chancen auf einen Job erhoffen. Mit Folgen für den Wohnungsmarkt: In Freiburg oder Reutlingen können auch anerkannte Flüchtlinge zu einem großen Teil deshalb nur in Heimen untergebracht werden. In Pforzheim kommen noch viele Zuwanderer aus EU-Staaten dazu. „Wir müssen so schnell wie möglich Wohnraum schaffen - für alle, nicht nur für Flüchtlinge“, heißt es dort. In den Städten fürchtet man zunehmende Verdichtung und damit ein neues Konfliktpotenzial.

Greift die Wohnsitzauflage?

Städte begrüßen grundsätzlich die Auflage, nach der auch anerkannte Flüchtlinge ihren Wohnort nicht frei wählen können. Ob sie wirkt, ist unklar. Die Auflage ist erst gut zwei Monate in Kraft.

Wieviel müssen Kommunen für die Flüchtlingsintegration berappen?

Zahlen dazu gibt es nicht. Laut Städtetag dürften die Kosten im Südwesten im dreistelligen Millionenbereich liegen, die die Kommunen 2016 noch alleine schultern müssten. Das Land unterstützt sie bei der Anschlussunterbringung 2017 und 2018 mit insgesamt 320 Millionen Euro. Darin enthalten ist eine Pro-Kopf-Pauschale von 1125 Euro. Zusätzlich erhalten Kreise, Städte und Gemeinden laut Sozialministerium über die Umsatzsteuer 60 Millionen Euro.

Reicht das?

Die Pro-Kopf-Pauschale deckt nur einen Teil der Kosten ab. „Sie reicht bei weitem nicht aus“, heißt es aus Freiburg und Pforzheim. Laut Innenministerium werden die tatsächlichen Ausgaben derzeit erhoben. Nächstes Frühjahr sollen die Pauschalen rückwirkend neu festgesetzt werden.

Inwiefern belastet Zuwanderung städtische Haushalte?

Freiburg schiebt einen Gutteil der Neuverschuldung auf Aufwendungen für Flüchtlinge. Pforzheims Oberbürgermeister Gert Hager (SPD) führt fast die Hälfte des 50 Millionen Euro hohen Defizits darauf zurück.

Mussten deshalb schon Vorhaben aufgeschoben werden?

Laut Bosch haben einige Städte Baumaßnahmen verschoben, darunter Reutlingen. Der Bau neuer Sammelunterkünfte habe personelle Kapazitäten gebunden, sagt die Reutlinger OB. Die Pforzheimer Sozialbürgermeisterin Monika Müller sagt dazu: „Wir bekommen zu wenig Mittel, das ist klar. Aber Schwimmbäder müssen wir deshalb nicht schließen.“

Was sind die dringlichsten Forderungen an das Land?

„Es ist besonders wichtig, dass die Landeswohnraumförderung anders ausgestaltet und ausgestattet wird“, heißt es aus Freiburg. Ein leichterer Abruf von Mitteln für den gemischten Wohnungsbau steht für Pforzheim an oberster Stelle. Auch wünschen sich Kommunen mehr Unterstützung bei Sprachkursen.

Geht es nur um mehr Geld?

Nein, sagen die Kommunen. „Wir brauchen Geld, das wir gezielt einsetzen können - keine kurzfristigen Maßnahmen“, sagt Pforzheims Sozialbürgermeisterin. Andere Stadtchefs beklagen Hürden und wenig nachhaltige Programme. Die Städte und Gemeinden würden gerne selbst entscheiden, wofür sie Geld ausgeben. „Das Land sollte den Kommunen generell mehr Vertrauen entgegenbringen“, sagt Neulingens Bürgermeister Michael Schmidt (CDU), der Vorsitzende eines Zusammenschlusses von Enzkreis-Gemeinden für eine bessere Flüchtlingsintegration. Und sein Kollege aus Engelsbrand, Bastian Rosenau, fragt sich: „Warum muss zum Beispiel ein Flüchtlingsbeauftragter studiert haben?“

zahlen zu flüchtlingen

Baden-Württemberg nimmt 2016 deutlich weniger Asylbewerber auf als 2015. Bis Ende Oktober waren es nach Zahlen des Stuttgarter Innenministeriums rund 30 000. Im gesamten Vorjahr waren noch 98 000 Flüchtlinge in den Südwesten gekommen. Insgesamt 36 000 abgelehnte Asylbewerber müssten das Land wieder verlassen. Bis Ende Oktober 2016 wurden gut 3000 Menschen abgeschoben, im gesamten Vorjahr waren es 2449. Auch die Zahl freiwilliger Ausreisen steigt. Im ersten Halbjahr waren es 5750, nach 2100 im Vorjahreszeitraum. Die Landesregierung reagiert auf die veränderte Situation mit einer deutlichen Reduzierung der Aufnahmekapazitäten.