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Erschrecken über den Putsch, Erleichterung über das Scheitern: Die politische Krise in der Türkei wirft ihre Schatten bis nach Baden-Württemberg. Es gibt Demonstrationen, Flugausfälle. Und sogar die Kultur ist betroffen.

Die Landespolitik und die Türkische Gemeinde haben nach dem Scheitern des Putsches in der Türkei erleichtert reagiert - ungeachtet der Folgen auch für Baden-Württemberg. In Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim kam es zu friedlichen Demonstrationen türkischstämmiger Bürger. Innenminister Thomas Strobl (CDU) rief angesichts der Kundgebungen gegen die Putschisten in der Türkei zur Besonnenheit auf. Die Gewalt dürfe nicht im Südwesten fortgesetzt werden, mahnte er. «Wir würden das im Übrigen auch nicht dulden», unterstrich Strobl, der auch Vizeregierungschef ist.

In Mannheim kamen am Samstag etwa 1000 Menschen zusammen, in Stuttgart 400, um den Putschversuch einer Militärgruppe zu verurteilen. In der Nacht auf Samstag hatten Militärs in der Türkei versucht, die Macht an sich zu reißen. Es gab viel Tote, Verletzte und Hunderte Festnahmen in der Türkei. Rund 2400 Demonstranten hatten sich daraufhin noch in der Nacht in Stuttgart und Karlsruhe spontan zu Protesten versammelt. Sie schwenkten türkische Flaggen, riefen Sprechchöre und zeigten Bilder des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Neben den Protesten gab es weitere Auswirkungen. Gestrichen wurden viele Flüge in die Türkei: Nach Angaben des Stuttgarter Flughafen-Betreibers fielen allein am Samstag sechs Verbindungen nach Istanbul, Ankara und Izmir aus. Einzelne Verbindungen von Stuttgart - etwa nach Antalya oder an den kleineren Istanbuler Flughafen Sabiha Gökçen - waren von den Flugausfällen jedoch nicht betroffen.

Auch am Flughafen Baden-Baden wurden am Samstag Flüge von und nach Istanbul zum dortigen Atatürk-Airport gestrichen. Ob die Flugverbindung am Sonntag wie geplant wieder aufgenommen wird, war zunächst unklar. Türkische Reiseveranstalter im Südwesten erwarteten jedoch, dass sich die Lage bis Sonntag wieder entspannt, wie eine Anfrage bei einzelnen Anbietern ergab.

Durch den Putsch verzögerte sich auch die in Stuttgart mit Spannung erwartete Entscheidung: Eigentlich sollte am Samstag entschieden werden, ob die Häuser der Stuttgarter Weissenhofsiedlung des Stararchitekten Le Corbusier zum Welterbe ernannt werden. Das Werk ist in diesem Jahr die einzige Nominierung mit deutscher Beteiligung. Aufgrund der heftigen Kämpfe auf den Straßen Istanbuls wurde die Sitzung des Welterbekomitees jedoch bis auf Weiteres ausgesetzt. Wann sie fortgesetzt wird, war zunächst unklar. Die Beratungen sollten ursprünglich am Sonntag enden.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland sah im Scheitern des Putsches als «Zeichen einer demokratischen Reife» der Bevölkerung. «Es ist einmalig in der türkischen Geschichte, dass man einen Putschversuch verhindert. Bisher waren die Putschisten immer erfolgreich», sagte der Bundesvorsitzende der Gemeinde, Gökay Sofuoglu, der Deutschen Presse-Agentur.

«Man kann es als Zeichen der Reife verstehen, wenn sich die Leute gegen Panzer, gegen das Militär stellen, um das Parlament zu vereidigen», meinte Sofuoglu, der auch die Gemeinde in Baden-Württemberg führt. Er ging davon aus, dass das Ganze die Machtposition von Präsident Erdogan stärkt.

Für SPD-Fraktionschef Andreas Stoch verurteilte der Putschversuch als «erschreckend» für eine zivilisierte Gesellschaft. In einer Demokratie gebe es für solche Methoden keinen Platz. «Jeder, der sich als Demokrat bezeichnet, muss froh sein, dass dieses Himmelfahrtskommando scheiterte», sagte Stoch. Bei einem Termin in Konstanz meinte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU): «Ich kann nicht erkennen, dass irgendetwas einfacher geworden wäre, wenn dieser Putsch erfolgreich gewesen wäre.»