Der Ortskern von Bad Herrenalb: Die Kleinstadt macht sich derzeit hübsch für die Gartenschau 2017. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Oliver Stortz

Bad Herrenalb - „Mit diesem Ergebnis hatten wir gerechnet.“ Martin Knirsch kommentiert am Ende kühl, was wochenlang die Gemüter erhitzte in der schwäbischen Provinz. Oder in der badischen. So genau weiß man das nicht mehr seit Sonntag. Bad Herrenalb - 8000 Einwohner, schmucker Ortskern, darbendes Kurzentrum - will den Landkreis wechseln: Mit hauchdünner Mehrheit von 50,6 Prozent haben sich die Bürger am Sonntag dafür ausgesprochen, vom Kreis Calw in den Kreis Karlsruhe rüberzumachen - gegen die Empfehlung ihres Bürgermeisters Norbert Mai. Knirsch war einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens, die mit besseren Zukunftschancen für die Gemeinde und vermeintlich kürzere Wegen zu Behörden für ihre Idee trommelten. Ämter, Gerichtsbarkeiten, Agentur für Arbeit? „Hinter den sieben Bergen bei den 7 Zwergen“, spottete die Bürgerinitiative „Sag Ja zum Landkreis Karlsruhe“ - und zielte damit auf das 40 Kilometer entfernte Kreismetropölchen, die Hermann-Hesse-Geburtsstadt Calw. Dass es bis Karlsruhe kaum näher ist, blieb unerwähnt.

Langer Schatten der Gebietsreform

Der Zugehörigkeitsstreit hat neben allen Argumenten auch eine irrationale Seite: den langen Schatten der Kreisgebietsreform von 1973. Damals wurden aus vormals 63 Landkreisen 35; die historischen Grenzen der drei ehemals selbstständigen Landesteile Baden, Württemberg und Hohenzollern, die bis dahin im Zuschnitt der Landkreise und Regierungsbezirke sichtbar geblieben waren, verloren durch die Neugliederung vielerorts ihre Kontur. So kam das badische Überlingen zu Friedrichshafen - und die stolze württembergische Garnisonsstadt Freudenstadt wurde mitsamt neu zugeschnittenem Kreis dem Karlsruher Regierungspräsidium zugeschlagen - ebenso wie der württembergisch geprägte Kreis Calw. Nur drei Jahre nach der Wiederholung der Abstimmung über den Südweststaat in Baden war das Vorgehen durchaus rigoros. Um Widerstände gering zu halten, wurde sprachlich manches kaschiert. So heißt der Kreis Friedrichshafen offiziell etwa Bodenseekreis. Auch aus den Namen der Regierungsbezirke - ehemals Nordbaden, Südbaden, Nordwürttemberg, Südwürttemberg-Hohenzollern - verschwanden die früheren Staatsnamen. Fortan firmierten sie schlicht unter dem Namen der Verwaltungssitze Karlsruhe, Freiburg, Stuttgart und Tübingen. Ausgerechnet die CDU, unter deren Ministerpräsident Hans Filbinger die Kreisgebietsreform vollzogen wurde, bewahrt die alten Namen bis heute in der Bezeichnung ihrer Bezirksverbände - obwohl diese in ihrem Zuschnitt längst den heutigen Regierungsbezirken entsprechen.

Historisch betrachtet war Herrenalb - anders als zum Beispiel das ebenso zum Kreis Calw gehörende Bad Liebenzell - nie badisch. Dennoch liebäugelte der Ort bereits Anfang der 70er-Jahre damit, im Zuge der Gebietsreform in den Kreis Karlsruhe zu wechseln. Am Ende sah sich die Schwarzwaldgemeinde mit ihrem Profil als Kurort im eher ländlich und touristisch geprägten Kreis Calw besser aufgehoben. So fand sich der Schwarzwaldort - Ironie der Geschichte - am Ende in einem württembergischen Landkreis in einem badischen Regierungsbezirk wieder.

Die Sehnsucht der Herrenalber nach dem Badnerland steht also womöglich auch im Zusammenhang mit dem Niedergang der Kurindustrie. Von der boomenden Industrieregion Karlsruhe erhoffen sich manche neue Impulse für ihre Gemeinde. Allerdings läge die Kleinstadt im neuen Kreis ebenso in der Peripherie wie im alten.

Realistische Chancen auf Erfolg hat das Bürgerbegehren trotz gewonnener Abstimmung kaum: Ein Landkreis ist kein Sportverein, aus dem Kommunen nach Belieben ein- und austreten können. Über den Zuschnitt entscheidet das Land. Und das per Gesetz. In Stuttgart herrscht die Sorge vor, der kleine Bürgeraufstand im Nordschwarzwald könnte bald Nachahmer finden. Die grün-schwarze Landesregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Landkreise nicht neu zuzuschneiden, was allerdings eher als Absage an eine größere Gebietsneugliederung gedacht war. Eine solche werde es in der laufenden Wahlperiode auch nicht geben, sagt Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. Davon unabhängig werde sich der Landtag mit dem Wunsch der Herrenalber aber befassen. „Bei unserer Entscheidung werden wir uns am Gemeinwohl orientieren“, erklärte Schwarz unserer Redaktion.

Landräte sind nicht begeistert

Wenig begeistert über das Votum sind auch die betroffenen Landratsämter. Der Calwer Landrat Helmut Riegger will Herrenalb keinesfalls ziehen lassen; und sein Karlsruher Amtskollege Christoph Schnaudigel steht nicht mit offenen Armen da - zumal angesichts des knappen Ergebnisses. „Das Land ist gut beraten, nicht an der Stelle ein großes Fass aufzumachen“, sagt auch Landkreistagspräsident Joachim Walter (CDU). Allein auf weiter Flur sind die Herrenalber mit ihrem Streben nach einer neuen administrativen Heimat indes nicht: 2013 etwa wollten die thüringischen Kreise Hildburghausen und Sonneberg nach Bayern wechseln. In den Landeshauptstädten München und Erfurt war man sich schnell einig, dass daraus nichts wird. Seitdem ist es um das Vorhaben still geworden.

Viele Herrenalber zeigten sich gestern indes überrascht von ihrem Votum. Eine Frau bekennt, sie habe einen anderen Ausgang erwartet. Sie sagt’s: auf Schwäbisch.

Landkreise in Baden-Württemberg

Groß und klein: In Baden-Württemberg gibt es 35 Landkreise, in denen auf 34 500 Quadratkilometern rund 8,7 Millionen Bürger leben. Am meisten Einwohner hat nach Angaben des Landkreistags der Rhein-Neckar-Kreis mit rund 542 000 Menschen; die wenigsten Menschen leben im Hohenlohekreis (111 000). Flächenmäßig am größten ist hingegen der Ortenaukreis mit 1851 Quadratkilometern. Der kleinste Landkreis Tübingen ist 519 Quadratkilometer groß.

Kreisreform: Den letzten großen Neuzuschnitt gab es im Jahr 1973. Dabei wurden drei Landkreise weitgehend beibehalten und 32 neu gebildet. Geht es nach dem grün-schwarzen Koalitionsvertrag, sollen die Landkreise unverändert bleiben.