Pfarrerin Anne Ressel auf ihrem Kahn „Johann Hinrich Wichern“ im Mannheimer Hafen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Stephen Wolf

Mannheim - Der Dieselmotor tuckert laut, als das zwölf Meter lange Schiff langsam aus dem Bootsschuppen fährt. Am Bug ist ein blaues Kreuz aufgestellt, die Flagge der Schifferseelsorge weht auf dem Dach. Die Mannheimer Pfarrerin Anne Ressel macht die Leinen los. Mit der „Johann Hinrich Wichern“ geht es in Richtung Industriehafen. Die Dienstfahrt führt zu den Menschen, die auf den Wasserstraßen von Mannheim und dem benachbarten Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) arbeiten. Wenn Binnenschiffer auf Rhein oder Neckar über ihre Sorgen sprechen wollen, über die Arbeitsbelastung an Deck oder die Familie daheim, dann können sie sich an die Hafenseelsorgerin wenden. Die Idee dieser Seelsorge geht zurück auf den protestantischen deutschen Theologen Johann Hinrich Wichern, der im 19. Jahrhundert die sozialen Probleme thematisierte. Doch die evangelischen Hafenseelsorger werden weniger. „Bundesweit gibt es von uns nur noch fünf Hauptamtliche“, sagt Horst Borrieß, der selbst im nordrhein-westfälischen Datteln im Einsatz als Seelsorger ist. „Als ich 1981 meine Stelle angetreten habe, waren es dreimal mehr.“ Borrieß ist Sprecher der evangelischen Binnenschiffergemeinde. Die Hafenseelsorge sei von jeher eher eine evangelische Sache gewesen.

Die 49-jährige Ressel kommt mit dem Schiff wöchentlich an den Anlegestellen vorbei. Oft steuert der ehrenamtliche Helfer Philipp Dietrich den 1962 gebauten Kahn, während sie Ausschau nach Schiffern mit Gesprächsbedarf hält. „Wenn sie sich wegdrehen oder abwinken, fahren wir weiter. Kein Problem, die Leute haben viel Arbeit“, sagt die Seelsorgerin. „Hauptsache, sie wissen, dass wir im Notfall da sind.“ Vor allem für selbstständige Schiffseigentümer, die sogenannten Partikuliers, hätten sich die wirtschaftlichen Bedingungen in den vergangenen Jahren verschlechtert. „Die Unternehmen müssen jeden Tag aufs Neue gegen die starke Konkurrenz um die Lieferaufträge kämpfen.“

Neben wirtschaftlichen Sorgen kennen Binnenschiffer auch Einsamkeit und Langeweile. Schwierig sei es für den Berufsstand schon von jeher gewesen, den festen Kontakt zu Freunden daheim zu halten, sagt Ressel. Und auf dem Wasser kann die Einsamkeit groß sein. Binnenschiffer aus vielen unterschiedlichen Ländern landen im Hafen an. Für die Niederländer unter ihnen gibt es in der Mannheimer Hafenkirche sogar regelmäßig Gottesdienste, zu denen Pastoren aus dem Nachbarland angereist kommen. Einer von ihnen ist Louis Krüger. Einmal im Monat kommt er von Rotterdam nach Mannheim, um mit den Binnenschiffern zu beten. In unserer schwierigen Zeit, sagt Krüger, nehme er den weiten Weg gern auf sich, um die Schiffer zu unterstützen. „Dabei spielt es auch keine Rolle, ob nur wenige den Gottesdienst besuchen oder Dutzende“, sagt der 55-Jährige. Während es in Mannheim mit gemächlicher Geschwindigkeit an Kränen, alten Mühlen und kleinen Brücken vorbeigeht, wirkt die Stadt ungewohnt, ja fremd. Als sich die „Wichern“ langsam einem großen Schiffen nähert, winkt ein Mann freundlich.