Mit der Bosch-Sensorlösung Track Quality kann die Produktqualität innerhalb der gesamten Lieferkette verfolgt werden.  Foto: Bosch/dpa - Bosch/dpa

Von Sabrina Erben

Stuttgart/Hannover - Stellen Sie sich vor, Sie schicken eine Vase von Esslingen nach Hamburg. Der Empfänger in der Hansestadt öffnet freudig das Paket, findet statt einer schönen Vase aber nur Scherben vor. Ärgerlich. Der Bosch-Konzern will diese Lieferketten künftig überwachen, und zwar mit Sensoren an der Verpackung. Das sogenannte Track Quality erfasst Informationen wie Licht, Luftfeuchtigkeit oder Erschütterung - wie im Fall der Vase. Diese Infos werden an die Bosch-Cloud gesendet. Dort gleicht eine Software dann die Messwerte mit zulässigen Grenzwerten ab. Wird die Vase im Karton zu sehr durchgeschüttelt, werden Kunden, Lieferanten oder Dienstleister in Echtzeit gewarnt. Der Verursacher des Schadens kann so ermittelt und Lieferausfälle können einkalkuliert werden. „Wir werden künftig nicht nur mit innovativen Produkten, sondern auch mit innovativen Services wachsen“, sagt Bosch-Chef Volkmar Denner gestern bei der Bilanz-Pressekonferenz auf dem Bosch-Forschungscampus in Renningen. Track Quality ist nur ein Beispiel von vielen Bosch-Projekten.

Der Konzern mit seinen vier Geschäftsfeldern Mobilitätslösungen, Industrietechnik, Gebrauchsgüter sowie Energie- und Gebäudetechnik geht diesen Weg nicht allein. Während der zurzeit stattfindenden Hannover Messe wird deutlich: Viele Unternehmen in Deutschland wie Trumpf oder Siemens treiben die Digitalisierung mit Hochdruck voran. In der Welt der Mechanik sind die deutschen Firmen oft vorn dabei, nun kommt es darauf an, diese Dinge auch intelligent werden zu lassen, um sie auch vernetzen zu können.

Im März dieses Jahres gab Denner bekannt, dass Bosch einen eigenen Cloud-Service errichtet. „Wir sichern uns mit Industrie 4.0 unsere Wettbewerbsfähigkeit - auch an einem Hochlohnstandort wie Deutschland“, sagt Daniel Hug, einer der führenden Experten für die vierte industrielle Revolution bei Bosch im Gespräch mit unserer Zeitung. Für die „Smart Home“-Lösungen, mit deren Hilfe beispielsweise Kühlschränke per Smartphone gesteuert werden können, erwartet der Konzern ein Marktpotenzial für das kommende Jahr von zehn Milliarden Euro.

Nach einem Rekordjahr 2015 rechnet Bosch auch dieses Jahr wieder mit steigenden Umsatzzahlen. Doch die Prognosen sind vorsichtiger, die Konkurrenz schläft nicht. Bosch will künftig nicht nur Hardwareprodukte für das vernetzte Leben anbieten, sondern auch Servicelösungen. „Aus jedem Umsatz mit Hardware soll auch Umsatz mit ergänzenden Services folgen“, sagt Denner. Das heißt: Früher verkaufte Bosch einen Akkuschrauber und kassierte das Geld dafür. Nun will der Konzern auch Geld mit Serviceleistungen verdienen. Ähnlich wie beim Leasing-Modell bekommt Bosch dann laufend Geld für die Nutzung dieser Leistungen. Im Fall des Vasentransports wäre das neben der Sensorik die Übermittlung und ständige Auswertung der Daten in der Cloud. „Bosch wird seinen Kunden künftig nicht nur im Auto oder in der Küche begegnen. Mit vernetzten Services wird Bosch zum alltäglichen Begleiter in vielen Lebenssituationen“, sagt Denner. Bis Mitte 2017 soll die Sensorlösung Track Quality auf den Markt kommen. Bis zum Jahr 2020 erwartet der Konzern durch die vernetzte Produktion eine Milliarde Euro Kostenersparnis und eine Milliarde Euro zusätzlichen Umsatz. „Bosch profitiert von seiner Breite und seiner Internationalität. Wir können sowohl automobile Großserienfertigung als auch Kleinserien-Maschinenbau vernetzen, in Asien, Europa und in Amerika“, erklärt der Bosch-Chef. 6000 Mitarbeiter arbeiten im neuen Service-Bereich. Bosch erwartet für Service Solutions ein jährliches Umsatzwachstum von 15 Prozent.

Digitalexperte Daniel Hug betont, dass bei alldem der „Mensch im Mittelpunkt“ stehe. Er sagt: „Die Arbeit wird mit Datenanalysen und Software nun besser unterstützt.“ Der Nutzen entlang der Wertschöpfungskette sei vielfältig: höhere Produktivität, Qualitätskontrolle in Echtzeit, weniger Energiebedarf. „Es geht immer um den konkreten Nutzen für den Kunden“, sagt Hug.

So erfasst beim Bosch-Akkuschrauber Nexo ein Sensor das Drehmoment beim Schrauben und überträgt diese Daten an eine Software. Diese erkennt dann, ob der Schraubvorgang korrekt ausgeführt wurde. Abweichungen werden sofort deutlich, die richtigen Experten informiert. „Jeder bekommt nur diese Informationen, die er braucht“, erklärt Hug.

Doch die Vernetzung birgt noch Fragezeichen. Vor allem die Standards für diese digitalen Prozesse sind nicht geklärt. Als Standards versteht man die Sprache, mit der die Sensoren mit den Maschinen kommunizieren. Es ist ein Kampf um die Marktführerschaft. Bisher hatten die Plattform Industrie 4.0 in Deutschland und die Plattform in den USA unterschiedliche Standards. In diesem Jahr hat man sich auf eine Zusammenarbeit geeinigt. Bosch-Geschäftsführer Werner Struth warnt während der Hannover Messe davor, die Chancen von Industrie 4.0 durch Insellösungen zu schwächen: „Ihren vollen Nutzen kann die vernetzte Industrie nur entfalten, wenn sie weder an den Werkstoren noch an nationalen Grenzen durch unterschiedliche technische Regelwerke gestoppt wird“, sagt Struth. Bosch setze auf offene Standards. „Nur damit können Maschinen und Software unterschiedlicher Hersteller über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg leicht miteinander vernetzt werden. Diese Standardisierung ist eine Voraussetzung für eine reibungslose digitale Wirtschaft - national wie international.“ Bislang verhindert Struth zufolge oftmals eine nicht vorhandene gemeinsame Sprache die Vernetzung von Fertigung, Logistik, Gebäude- und Energiemanagement.