Blick in eine Berufsschulklasse. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Hermann Neu

Stuttgart - Die Berufsschullehrer im Land fordern über die bereits zugesagten 1300 zusätzlichen Lehrkräfte zum neuen Schuljahr hinaus weitere 880 Stellen. Die grün-schwarze Regierung müsse schon 2017 mit Einstellungen beginnen, um die Ziele ihrer Koalitionsvereinbarung umzusetzen, fordert Verbandschef Herbert Huber. Zudem sollen die Einstellungsverfahren verändert werden, damit sich die Schulen ihr Personal zu 80 Prozent selbst aussuchen können.

Der Vorsitzende des Berufsschullehrerverbands sagte gestern in Stuttgart, die Berufsschulen könnten nur auf den ersten Blick mit den geplanten Einstellungszahlen zufrieden sein. Bereits die vom Land eingeplante festinstallierte Vertretungsreserve von 310 Deputaten sei „lediglich eine Luftbuchung“. Strukturell betrage das Defizit des Unterrichtsausfalls 1,8 Prozent. Deshalb müsse eine schulbezogene Lehrerreserve wie an den Gymnasien aufgebaut werden. Pro Klasse im Vollzeitbereich rechnet der Verband mit mindestens einer Lehrerwochenstunde, im Teilzeitbericht ist es eine halbe Stunde. Allein so entsteht laut Hubers Angaben ein Bedarf an 416 zusätzlichen Stellen.

Problem geringer Kenntnisstand

Im Kampf gegen zu geringe Kenntnisse neu aufgenommener Schüler an den Berufsschulen fordert der Verband weitere 230 Deputate. Huber führte die Ergebnisse einer Vergleichsuntersuchung an. Danach erreichen 67 Prozent der Werkreal- und Hauptschüler, 48 Prozent der Schüler von Gemeinschaftsschulen sowie 20 Prozent der Realschüler bei der Rechtschreibung nicht den Mindeststandard der Klassenstufe acht. In Mathematik sind die Ergebnisse noch schlechter. Auch in den Naturwissenschaften gibt es Probleme. Der mangelnde Kenntnisstand der Schüler könne im Rahmen der normalen Stundentafel an Berufsschulen nicht ausgeglichen werden, betonte Huber. In beruflichen Gymnasien sowie Berufskollegs soll mit mehr Personal zudem die Möglichkeiten der individuellen Förderung ausgebaut werden, damit auch diese Schüler Chancen auf höhere Bildungsabschlüsse bekommen.

Mit ähnlicher Zielrichtung fordern die Berufsschullehrer einen Schulversuch, um den zweiten vollen Berufsschultag einzuführen. Mit der Ausdehnung des Unterrichts von derzeit 13 auf 16 Wochenstunden könnten leistungsschwächere Schüler Defizite ausgleichen und leistungsstärkere Schüler neben der Mittleren Reife oder der Fachhochschulreife berufsbezogene Qualifikationen, Fremdsprachenkenntnisse oder Module für ein späteres Hochschulstudium erwerben. Sollte der zweite Berufsschultag für ein Drittel der Schüler möglich werden, rechnet der Verband mit weiteren 350 zusätzlichen Deputaten.

Rückgängig machen will der Berufsschullehrerverband die geplante Kürzung der Stundentafel im Vorbereitungsjahr Arbeit und Beruf (Vabo). Die Pläne gefährdeten die Integration junger Flüchtlinge und seien eine reine Sparmaßnahme, warnte Huber. Alle Vabo-Klassen sollen im neuen Schuljahr den Plänen der Landesregierung zufolge nur noch maximal 20 Unterrichtsstunden pro Woche erhalten, bisher waren es 33. Diese Kürzung hält Huber „für einen Skandal“. Dass nur 270 von 8000 Vabo-Absolventen zum neuen Ausbildungsjahr eine Lehre starten, zeige, dass es nicht möglich sei, Flüchtlinge innerhalb nur eines Schuljahres ausbildungsreif zu machen. Auch für die bessere Inklusion von Menschen mit Behinderungen fordert der Verband 100 zusätzliche Deputate. Damit müsse im nächsten Schuljahr der Einstieg in das Zwei-Lehrer-Prinzip in den beruflichen Schulen beginnen. Zugunsten betriebs- und wohnortnaher Schulen fordert der Verband den Erhalt des flächendeckenden Netzes. Dies sei nicht zum Nulltarif zu haben. Um Kleinklassen zu vermeiden, soll es möglichst viel gemeinsamen Unterricht geben, in Berufstheorie und -praxis müsse die Klasse aber geteilt werden.

Ministerium: Lage gut wie nie zuvor

Das Kultusministerium erklärte, die Personalsituation an den beruflichen Schulen sei so gut wie nie zuvor. Die Einstellungszahl 2016 liege mit 1300 Deputaten nahe am Vorjahresrekord von damals 1350 Deputaten. Ministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte vergangene Woche einen Einstellungsrekord von 6600 Stellen verkündet. 672 Stellen, davon 250 in den Berufsschulen, konnten aber nicht besetzt werden. SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei forderte mehr Unterstützung für junge Flüchtlinge auf dem Weg in die Berufsausbildung. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke kritisierte, Grün-Schwarz versage bei der Unterrichtsversorgung und benachteilige die beruflichen Schulen. Die Arbeitgeber nannten die im Vergleichstest bei Achtklässlern zu Tage getretenen Schwächen beim Schreiben und Rechnen ein alarmierendes Zeichen. Die beruflichen Schulen und Betriebe dürften „nicht zu Reparaturbetrieben des allgemeinbildenden Schulwesens werden.“