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Von Bettina Grachtrup

Stuttgart - Winfried Kretschmann kann die Aufregung nicht verstehen. Wortreich und mit den Händen gestikulierend verteidigt der Ministerpräsident gestern vor Journalisten in Stuttgart die zunächst geheimgehaltenen Nebenabreden zum grün-schwarzen Koalitionsvertrag, die am Wochenende bekannt wurden. Der Erklärungsversuch gipfelt in einem überraschenden Bekenntnis. Politik ohne Absprachen hinter den Kulissen, das gehe doch gar nicht, meint Kretschmann. „Ich mauschele schon immer.“ Und er habe da kein schlechtes Gewissen.

Worum geht es? Im Mai präsentierten Grüne und CDU stolz ihren Koalitionsvertrag für die bundesweit erste grün-schwarze Landesregierung. Zu den gemeinsamen Projekten heißt es darin: „Für alle finanzwirksamen Maßnahmen gilt der Haushaltsvorbehalt.“ Das heißt: Wenn kein Geld da ist, werden sie nicht umgesetzt. In den Nebenabreden sind aber nun Vorhaben aufgelistet mit Mehrkosten, die ausdrücklich vom Haushaltsvorbehalt ausgenommen sein sollen. Kretschmann stellt gestern klar, dass der Haushaltsvorbehalt auch für sie gilt. „Das geht auch nicht anders“, sagt er mit Blick darauf, dass Baden-Württemberg 2020 keine neuen Schulden machen darf.

Es ist aber nicht nur der Inhalt, sondern vor allem das Verfahren, das die Gemüter von Opposition und Gewerkschaften erregt. Kretschmann ist einer der beliebtesten Politiker in Deutschland - auch deshalb, weil ihm der Ruf anhängt, authentisch und glaubwürdig zu sein. Im Landtagswahlkampf warb er mit den Slogans „Regieren ist eine Stilfrage“ und „Verantwortung und Augenmaß“ für sich. Vertrauen, so wird er nicht müde zu erklären, ist ein hohes Gut, das schnell verspielt werden kann und schwer wieder herzustellen ist. Da passen geheime Nebenabreden nicht so recht ins Bild.

Misstrauen in Verhandlungen

Kretschmann wirkt gestern reichlich zerknirscht, aber er verteidigt das Dokument. „Transparenz ist wichtig, aber sie hat auch ihre Grenzen.“ Der 68-Jährige verweist auf die Erfahrungen in der Koalition mit der SPD aus der vergangenen Legislaturperiode. Im Glauben daran, dass Grüne und SPD eine Wunschkoalition eingingen, verzichtete man auf Konkretisierungen im Vertrag. Nachher bekam man sich bei den Finanzen in die Haare. „Beim Geld hört ja die Freundschaft auf. Das gilt auch für Koalitionen“, sagt Kretschmann. Auch die schwarz-grüne Regierung im benachbarten Hessen habe genaue Nebenabsprachen geschlossen, und zwar „noch detaillierter“, wie Kretschmann anführt. Grüne und CDU seien eben nach der Landtagswahl keine Wunschpartner gewesen. Somit sind die Nebenabreden auch ein Zeugnis des Misstrauens, das noch in den Koalitionsverhandlungen herrschte.

Am Montagabend entschlossen sich Grüne und CDU, das Papier zu veröffentlichten, da die Inhalte ohnehin öffentlich bekannt waren. Doch der Imageschaden insbesondere für die Grünen war da schon längst eingetreten. Die Christdemokraten lehnen sich derweil entspannt zurück. Sie haben Transparenz schließlich nie so sehr für sich beansprucht wie die Ökopartei.

Bei der oppositionellen SPD ist neben Entrüstung auch etwas Schadenfreude zu spüren. Sie beantragte für heute im Landtag eine Debatte zu dem Thema Nebenabreden. Als Juniorpartner in der grün-roten Vorgängerregierung bissen sich die Sozialdemokraten die Zähne an Kretschmann aus. Bei der Landtagswahl hat die SPD auch deshalb ein unterirdisches Ergebnis von 12,7 Prozent eingefahren, weil sie gegen die Strahlkraft des grünen Regierungschefs nicht ankam. Nun habe Kretschmanns Nimbus Kratzer bekommen, so ihre Interpretation. „Der erste Lack ist ab.“