Beauftragter Klingbeil: Die Datenverarbeitung hat inzwischen alle Lebensbereiche durchdrungen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Stuttgart - Jörg Klingbeil ist seit mehr als sieben Jahren Landesbeauftragter für den Datenschutz im Land. Demnächst geht der am 25. Oktober 1950 geborene Experte in den Ruhestand. Zeit für eine Bilanz: Sie fällt nicht immer rosig aus, vor allem den sorglosen Umgang mit persönlichen Daten im Internet kritisiert der studierte Jurist.

Sie sind seit 1. April 2009 der unabhängige Datenschutzbeauftragte, davor waren Sie seit Oktober 2005 Vizechef der Behörde im Land. Was sind die markantesten Änderungen seither?

Klingbeil: Es hat sich seit 2005 einiges gewandelt. Als ich 2005 kam, gab es zum Beispiel noch kein Smartphone auf dem Markt. Die Datenverarbeitung hat inzwischen alle Lebensbereiche durchdrungen. Allerdings waren wir bis 2011 nur für den Datenschutz im öffentlichen Bereich, also bei Behörden und öffentlichen Stellen des Landes und der Kommunen zuständig und noch nicht für den Datenschutz bei Unternehmen. Bis dahin war das Innenministerium mit der Aufsichtsbehörde im Datenschutzreferat zuständig. Das wurde dann 2011 zusammengeführt.

Wie hat sich die Bedeutung des Datenschutzes verändert?

Klingbeil: Man kann generell sagen, dass der Datenschutz seit Anfang, Mitte der 2000er-Jahre - das ging los nach den Anschlägen auf das World-Trade-Center, den Sicherheitsdebatten um die dann folgenden verschiedenen Antiterrorgesetze und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes - schon eine sehr starke Bedeutung bekommen hat. Im nichtöffentlichen Bereich ist die Verarbeitung von personenbezogenen Daten immer mehr zum Inhalt von Geschäftsmodellen geworden. Mittlerweile hat auch die Politik erkannt, wie sehr die Wirtschaft von der Verarbeitung von Kundendaten abhängt. Da wird der Datenschutz in der Tat auf einmal als Hindernis apostrophiert. Das hat die Bundeskanzlerin und auf landespolitischer Ebene selbst ein Grünen-Politiker wie Boris Palmer betont. In dem Maß, wie man die Digitalisierung aller Lebensbereiche unterstützt, werden natürlich Friktionen mit datenschutzrechtlichen Anforderungen deutlich. Wenn ich Geld verdiene, indem ich Kundendaten verarbeite, dann habe ich die Anforderungen des Datenschutzes zu beachten: Das heißt, dass ich entweder eine gesetzliche Grundlage brauche, oder dass ich das Einvernehmen der Betroffenen einhole.

Die Anschläge in Frankreich sorgen dort für eine andauernde Ausnahmesituation. Höhlt das den Datenschutz auch in anderen Ländern Europas aus?

Klingbeil: In Deutschland sehe ich das noch nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat Gott sei Dank immer wieder die Reißleine gezogen und dem Gesetzgeber Grenzen aufgezeigt. Das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit muss den Bürgern immer wieder bewusst gemacht werden. Die Freiheit stirbt scheibchenweise und der Verlust der Freiheit ist ja häufig nicht spürbar. Ich spüre nicht, ob meine Daten, die ich irgendwo abliefere bei Online-Käufen, zu einem Persönlichkeitsprofil verarbeitet werden. Und ich kann auch nicht ohne Weiteres absehen, ob mir das irgendwann zum Nachteil gereichen wird. Wir haben aber in Deutschland im Prinzip ein ausgeprägtes Datenschutzbewusstsein, wenngleich als Paradox die Sorglosigkeit beim Umgang mit eigenen Daten auffällt.

Sie haben in einem ihrer Berichte darüber geklagt, dass die Bürger wegen kleiner oder auch nur vermeintlicher Vorteile im Internet munter Daten preisgeben. Hat sich daran etwas geändert?

Klingbeil: Wie jeder weiß, ist das weiterhin eher die Regel als die Ausnahme, dass bei Gewinnspielen oder Angeboten im Internet von den Nutzern Daten zur Verfügung gestellt werden. Kostenlose Apps beruhen ja in der Regel darauf, dass man seine Daten zur Verfügung stellt, damit Werbepartner der Anbieter davon profitieren. Die Bürger sind nach wie vor erschreckend sorglos, obwohl sie genügend Hinweise und Informationen finden könnten, welche Alternativangebote es gibt und wie sicher oder unsicher die Angebote sind, die sie nutzen. Aber den meisten ist es egal, weil Datenverlust oder ein schlechter Umgang mit Daten nicht wehtut. Warum braucht eine Taschenlampen-App die Standortdaten? Warum muss eine App das ganze Adressbuch kapern?

Die Sicherheit von E-Mails, das Bezahlen im Internet und ähnliche Techniken finden immer mehr Nutzer. Gleichzeitig wachsen die Risiken und Unsicherheiten. Was empfehlen Sie dem normalen Bürger?

Klingbeil: Generell sollte es nicht sein, dass diejenigen, die analog ihre Überweisungen tätigen, bestraft werden. Das ist aber die Entwicklung, die in den letzten Jahren zu beobachten ist. Wenn ich eine Fahrkarte bei der Bahn online bestelle, komme ich günstiger weg, als wenn ich zum Schalter gehe. Wenn ich alles mit dem Internet verbinde, bin ich über das Internet auch immer angreifbar. Wenn ich jetzt das Internet der Dinge betrachte, wenn alle Haushaltsgeräte oder Sicherheitsvorkehrungen wie Schließanlagen mit dem Internet verbunden werden, brauche ich mich nachher nicht zu wundern, wenn jemand per Software beispielsweise ein Türschloss öffnen kann.

Aktuell gab es einen Hackerangriff auf ein bayerisches Atomkraftwerk, vor wenigen Tagen haben die Drucker einer Universität rechtsextreme Parolen ausgespuckt. Wird das zunehmen?

Klingbeil: Datenpannen werden zunehmen, Sicherheitslücken werden zunehmen, und die entsprechenden Schäden werden zunehmen. Nur: Was ist die Alternative? Abkoppelung verschiedener technischer Bereiche der Wirtschaft vom Internet? Ich gehe mal davon aus, dass die Firmen im eigenen Interesse darauf achten, was sie sich für Angriffsflächen schaffen. Ansonsten ist natürlich jeder aufgefordert, für die nötige IT-Sicherheit zu sorgen. Bei IT-Sicherheit in Unternehmen, Stichwort Industrie 4.0, geht es ja nicht nur um personenbezogene Daten, die den Datenschutz interessieren, sondern vor allem um Patente, um Geschäftsgeheimnisse und um wirtschaftliche Risiken.

Schockt den Bürger die Vision des gläsernen Menschen?

Klingbeil: Ich denke schon. Es geht im Kern auch um die Autonomie des Menschen, um die informationelle Selbstbestimmung, die vom Bundesverfassungsgericht 1983 im Volkszählungsurteil als Grundrecht entwickelt worden ist. Der Einzelne soll eben selbst steuern können, was mit seinen Daten geschieht. Im Grunde erweist sich das aber in der Zeit der allgegenwärtigen Datenverarbeitung als Illusion. Diese allgegenwärtige Datenverarbeitung führt zudem zu einer starken Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Der Einzelne soll immer mess- und wägbarer werden. Sein Persönlichkeitsprofil wird bewertet, er kann zum Gegenstand eines Scoring gemacht werden aufgrund des Umstands, wo er wohnt, oder wann er was gekauft hat. Das führt zu Rechenmodellen, damit wird der Mensch gläserner. Sobald er die Nachteile spürt, werden auch die Bedenken wieder zunehmen.

Pläne für Autonomes Autofahren, Recorder, die das Fahrverhalten registrieren und im Gegenzug mit niedrigeren Versicherungsprämien locken: Ist alles des Teufels oder sehen Sie darin auch Vorteile?

Klingbeil: Das ist immer eine Gewissensfrage, die jeder Einzelne für sich beantworten muss. Die muss aber auch die Gesellschaft beantworten. Ich sehe die Gefahr einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die das persönliche Verhalten belohnt oder bestraft. Das kann das Gesundheitsverhalten sein, das kann das Fahrverhalten sein. Bisher waren viele Bereiche davon geprägt, dass wir eine Solidargemeinschaft hatten, im Bereich der Krankenversicherung etwa. Wenn man das jetzt zu Ende denkt, kann es dazu kommen, dass jeder gewisse Vergünstigungen bei seiner Krankenversicherung hat, wenn er seine Gesundheitsdaten abliefert. Bloß was ist mit denen, die das nicht wollen oder nicht können? Werden die dann bestraft? Wenn das beim Autofahren ein geringer Prozentsatz ist, und die Vergünstigung ist relativ gering, ist das noch auszuhalten. Aber was ist, wenn es auf breiter Front um sich greift, und wenn es Marktführer sind, wie sich das abzeichnet bei HUK Coburg oder Allianz, die das einführen wollen, und wenn es viele Versicherungsnehmer machen?

Grüne und CDU verhandeln derzeit über die Bildung einer Koalition. Es ist bereits die Rede davon, dass bei Vorratsdatenspeicherung oder Online-Untersuchung manches nicht möglich wäre, säße die FDP am Verhandlungstisch. Was erwarten Sie von der Koalition?

Klingbeil: Diese Meldung habe ich auch gelesen. Ich kann mir darunter im Moment noch nichts Konkretes vorstellen. Man muss sicher auch mit Vorsicht genießen, was da durchsickert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Grünen gegenüber der CDU beim Datenschutz weiter gehen, als sie das bei der SPD gemacht haben. Ich glaube auch nicht, dass die Landespolizei bei Online-Durchsuchungen in nächster Zeit zu einer eigenen konkreten Anwendung in der Lage wäre; da war sie bisher technisch einfach noch nicht so weit. Da sehe ich im Moment keine durchgreifende Neuentwicklung. Ich rechne aber damit, dass man sich beim Thema Bodycams für Polizisten einigt, wo es ja schon eine Einigung von Grünen und SPD gab.

Das Gespräch führte Hermann Neu