91 Jahre lang war das „Stadtbädle“, wie es genannt wurde, in der Sulzerrain-straße in Betrieb. Quelle: Unbekannt

Von Edgar Rehberger

Die Zeit rast. Schon mehr als die Hälfte des Jahres ist vorüber, dabei war doch eben erst Pfingsten. Verrückte Zeit. Daher haben wir Ereignisse und Erlebnisse zusammengetragen, die vor 10 und 25 Jahren für Schlagzeilen sorgten. Erinnern Sie sich noch? Heute geht es um die Schließung des alten Mineralheilbades Cannstatt.

„Mineralbad ade“ hieß es heute vor 25 Jahren. Am letzten Badetag in der Sulzerrainstraße flossen Tränen. „Jetzt kommt ein zweites Leuze - wir könnten heulen“, kritisierten damals die treuen Badegäste, die nicht verstehen konnten, dass „ihr“ Bad einem neuen modernen Badebetrieb weichen musste. „Ade Bescheidenheit und Zufriedenheit“ stand auf einem Zettel, den die Badegäste an die Wand geheftet hatten. „Eine gute Durchrenovierung mit weniger Millionen hätte uns dieses Bad erhalten - aber wer fragt nach uns.“ Es waren vorwiegend ältere Menschen, die im Cannstatter Mineralheilbad ein- und ausgingen.

Sie wollten am letzten Badetag noch einmal „die unvergleichliche Atmosphäre hier“ schnuppern. Man habe nichts anderes gewollt. „In Stuttgart gibt es nichts Vergleichbares. Die vielen Duschen, sauber war‘s, die Betreuung hat gestimmt. Für uns war‘s komfortabel genug.“ Man habe seine Ruhe gehabt, der Eintritt sei preiswert gewesen. Es sei unverständlich, dass keine Renovierung durchgezogen werde.

Doch für neue Gäste war das Mineralheilbad nicht mehr attraktiv. Die Besucherzahlen waren rückläufig Aus betriebswirtschaftlicher Sicht machte es für die Stadt keinen Sinn, das Bad zu halten. Für die Stammkundschaft bedeutete die Einrichtung jedoch viel. Die persönliche Atmosphäre und das heimelige Gemäuer hoben die funktionalen Mängel auf. Trotz abgeschliffener Kachelplatten im Schwimmbad, engen Räumlichkeiten in der Massage, altertümlich anmutender Ausstattung, angerosteter Liegestühle - „die Leute kamen gerne hierher“, sagte Gerd Hoffmann, 30 Jahre lang im Bad beschäftigt, zuletzt als Betriebsleiter. Sogar ein Gedicht mit dem Titel „Nachruf“ wurde zum Abschied des Heilbades verfasst.

Am 24. Juni 1900 wurde das Stadtbad Cannstatt, im Volksmund „Stadtbädle“ genannt, feierlich eingeweiht. Die Cannstatter Bürger hatten bei der Finanzierung kräftig mitgewirkt. Hofrat Ernst Ezechiel Pfeiffer stiftete 30 000 Mark und einen jährlichen Betriebskostenzuschuss von 1000 Mark. Schwimmbad und Wannen-Heilbäder wurden von Anfang an aus dem Wilhelmsbrunnen mit Mineralheilwasser gespeist. Im Frühjahr 1911 wurden im Erweiterungsbau an der Nordseite ein russisch-römisches Bad, sechs zusätzliche Wannenheilbäder, Verwaltungsräume und eine Wäscherei für den hauseigenen Bedarf in Betrieb genommen. Jungen und Mädchen aus der Volksschule erhielten regelmäßig Schwimmunterricht.

In der Nacht zum 22. Februar 1944 wurde das Bad bei einem Fliegerangriff durch Spreng- und Brandbomben zerstört. Ohne Fenster und Dach konnte ab Juni 1944 wieder geschwommen werden. Nach umfangreichen Baumaßnahmen öffnete 1949 das Bad mit einer neuen Schwimmhalle und einer Abteilung für Mineralwannen-, Dampf- und Reinigungsbädern. Nachdem der SV Cannstatt 1973 ins vereinseigene Alfred-Reichle-Bad umzog, wurde aus dem „Stadtbädle“ das Mineral-Heilbad Cannstatt. Heute steht an seiner Stelle das MineralBad Cannstatt, eröffnet am 27. August 1994. 30 000 Besucher kamen zur zweitägigen Eröffnungsfeier.