Quelle: Unbekannt

Von Uli Nagel 

Trotz Mülltrennung landen noch viele Wertstoffe im Hausabfall. Doch laut dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz müssen spätestens in vier Jahren 65 Prozent davon recycelt werden. Ob durch Städte und Kommunen oder durch Privatunternehmen, darüber wird in Berlin noch heftig gestritten. Der Eigenbetrieb Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) befürchtet jedenfalls, dass durch eine Liberalisierung die Gebühren steigen.

Was Hausmüll angeht, so gibt es heute vor Stuttgarts Haustüren folgende Farbpalette zu sehen: In die graue Tonne kommt der Restmüll, in die grüne Papier. Beide Behälter sind Pflicht. Die Biotonne (braun) war lange freiwillig, allerdings wurde sie im Zuge der Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ebenfalls zu einer Verpflichtung für alle Haushalte und wird momentan nach und nach in der Landeshauptstadt eingeführt. In diesem Jahr auch im Neckartal.

Das am 1. Juni 2012 in Kraft getretene Kreislaufwirtschaftsgesetz sieht jetzt vor, die im Hausmüll vorhandenen Wertstoffe noch besser abzuschöpfen und einer Verwertung zuzuführen. Ab 2020 sind mindestens 65 Prozent aller Siedlungsabfälle zu recyceln.

In Deutschland werden aufgrund der Verpackungs-Verordnung bereits seit Mitte der 1990er-Jahre Verpackungsmaterialien aus Kunststoff, Verbund und Metall als Rohstoff in den Stoffkreislauf rückgeführt. Verkaufsverpackungen wie zum Beispiel die Milchtüte, die Plastikfolie und die Dose werden in Stuttgart über den Gelben Sack, andere Städte und Kommunen setzten hierbei auf eine Gelbe Tonne. Die Finanzierung dieses privatwirtschaftlichen Entsorgungssystems erfolgt über Lizenzabgaben, die seitens der Verpackungshersteller zu entrichten sind. Die Kosten werden allerdings an die Bürger über den Ladenpreis weitergegeben.

Heftiger Streit seit Jahren

Vor Einführung einer Wertstofftonne, in welcher Verpackungsmaterialien aus Kunststoff, Verbund und Metall mit stoffgleichen Nichtverpackungen gesammelt werden, müssen allerdings vom Gesetzgeber die Rahmenbedingungen geändert werden. Und dabei wird seit Jahren heftig gestritten und diskutiert. Der Grund: Privatunternehmen sind gewinnorientiert und werden sich deshalb die Rosinen - wie etwa die Wertstofftonne - herauspicken. Denn längst ist das Geschäft mit Plastik oder Elektroschrott zu einem Milliardengeschäft avanciert. Ähnlich lukrativ ist das Geschäft mit Altpapier in den vergangenen Jahren geworden. Doch im Gegensatz zu einem kommunalen Eigenbetrieb wie die Abfallwirtschaft Stuttgart wird ein Privatunternehmen seinen Gewinn sicher nicht an den Bürger weitergeben. Die AWS, die keinen Gewinn „ansparen“ darf, ist dazu jedoch verpflichtet. Unterm Strich heißt dies: je wirtschaftlicher die AWS arbeitet und je mehr Geld sie verdient, umso besser für den Haushalt, da Gebühren stabil bleiben - wenn nicht sogar gesenkt werden. Ein Fakt, der ohne den Abfall aus der Wertstofftonne jedoch unmöglich ist. Beim Altpapier könnten im Extremfall mehr als 1,5 Millionen Euro Einnahmen wegfallen. Dies würde zu einer Gebührenerhöhung von drei Prozent führen.

Doch die wirtschaftlich uninteressante und verlustbringende graue Tonne birgt ein weiteres Problem: Da sich ihre Sammelmengen wegen der Wertstofftonne drastisch verringern werden, ist die Auslastung der Müllverbrennungsanlage in Münster nicht mehr gewährleistet. Auch das kann sich negativ auf die Gebühren auswirken. Stuttgart hat, wie alle anderen deutschen Großstädte, die eine eigene Müllabfuhr haben, deshalb dafür plädiert, dass die geplante Wertstofftonne von den Kommunen geleert und entsorgt wird. Denn die Abfallentsorgung ist ein zentrales Element der öffentlichen Daseinsvorsorge. Hohe soziale Standards, Wirtschaftlichkeit, hohe Recyclingquote und vor allem stabile Gebühren können nur so gewährleistet werden.

Kritik aus Baden-Württemberg

Ende Oktober vergangenen Jahres hatte das Bundesumweltministerium (BMUB) einen Arbeitsentwurf für ein neues Wertstoffgesetz vorgelegt, das eine Ausweitung der Verantwortlichkeiten der derzeit elf dualen Systembetreiber für die Wertstoffentsorgung und kaum Rechte für die Kommunen vorsieht. Etliche Bundesländer, darunter auch Baden-Württemberg, intervenierten. Der Arbeitsentwurf des BMUB entspreche nicht den Vorstellungen an ein effizientes, ökologisches und bürgernahes Wertstoffgesetz. Zwei der Forderungen sind für die Kritiker zentral: Die Organisationsverantwortung für die Wertstofferfassung muss bei den Kommunen bleiben und die Fraktion Papier, Pappe und Kartonage (PPK) muss aus der bisherigen Produktverantwortung herausgenommen werden.

Der Aufschrei blieb nicht ungehört, denn der Bundesrat folgt dem Entschließungsantrag der Kritiker und hat die Bundesregierung aufgefordert, ein Wertstoffgesetz vorzulegen, das den Kommunen die Organisationsverantwortung für die Erfassung der Verpackungen und der stoffgleichen Nichtverpackungen aus privaten Haushalten überträgt. Jetzt ist also der Bundestag wieder am Zug, doch mit einer schnellen Entscheidung, wie sie auch von Stuttgart gefordert wird, ist nicht zu rechnen.

Die AWS-Verantwortlichen haben jedenfalls reagiert. Seit 2014 bietet der Eigenbetrieb den Stuttgarter Bürgern versuchsweise die Möglichkeit, Wertstoffe, die sonst über die Restabfalltonne entsorgt werden und als wertvolle Rohstoffe verloren gehen, auch beim Wertstoffmobil beziehungsweise bei einem der fünf Wertstoffhöfe abzugeben. Der Versuch, der ursprünglich für zwei Jahre angesetzt war, wird weitergeführt, bis eine verbindliche rechtliche Regelung für die Sammlung von Wertstoffen erfolgt.

KOMMENTAR: Rosinenpicken 

Von Uli Nagel

Täglich wird tonnenweise Wohlstandsmüll entsorgt, weshalb es sehr zu begrüßen ist, wenn Wertstoffe gesammelt und wiederverwertet werden. Doch kaum stand der Beschluss fest, 2015 eine Wertstofftonne einzuführen, ging die Debatte los. Denn, egal ob Plastik, Metall oder Verbundstoffe, im Zeitalter der knapper werdenden Rohstoffe und Edelmetalle ist das Einsammeln derselben ein Millionen-, wenn nicht sogar Milliardengeschäft geworden, auf das verständlicherweise private Entsorgungsunternehmen mehr als nur ein Auge geworfen haben. Ihre Lobbyisten wurden tätig, um sich diesen lukrativen Claim zu sichern. Die öffentlichen Entsorgungsbetriebe befürchten - ebenso verständlich - ein Rosinenpicken und sind nicht damit einverstanden, dass ihnen nur der „Dreck“ bleiben soll.

Das Tauziehen kann mitnichten dem Bürger egal sein. Denn wenn die öffentliche Müllabfuhr die Wertstoffe einsammeln oder die kommunalen Entsorgungsbetriebe sie auf ihren Wertstoffhöfen entgegennehmen dürfen, dann werden damit Kosten in anderen nicht lukrativen Bereichen gedeckt, was wiederum für stabile Gebühren sorgt. Wenn aber Private sammeln, dann gibt es nichts außer einem Dankeschön unter dem Deckmantel der Profitmaximierung sowie zwangsläufig höherer Entsorgungsgebühren.

Was Bundesregierung und Lobbyisten der privaten Entsorgung dem Bürger verschweigen: Unter den europäischen Ländern hat Deutschland die gelungenste Kombination von öffentlich-rechtlicher und privater Wirtschaft beim Thema Müllentsorgung gefunden: Die Kommunen haben die Hoheit und gehen bei Bedarf Partnerschaften ein. Wer das ändern will, gefährdet die Stabilität des gesamten Systems, das bis heute sicher nicht perfekt ist, aber funktioniert.

sammlung Über Wertstoffmobil und -höfe

Das Wertstoffmobil ist in der Regel jeweils montags bis freitags zusammen mit dem Schadstoffmobil unterwegs und fährt dieselben Standplätze an. Genutzt werden kann die Sammlung von Haushalten und Gewerbebetrieben, die an die städtische Regelabfuhr angeschlossen sind. Die Termine und Standplätze können im Internet unter www.stuttgart.de/abfall (Stichwort Wertstoffmobil) nachgeschaut und beim AWS-Kundenservice nachgefragt werden. Rund 105 Tonnen Altkleider, rund vier Tonnen CD/DVD (rund 230 000 Stück), rund 300 Tonnen Haushalts-Großgeräte, rund 270 Tonnen Kühlgeräte, rund 1209 Tonnen Elektrogeräte, rund 70 Tonnen Lampen, rund 27 Tonnen Kabel, rund 15 Tonnen Kunststoffe (Hohlkörper und Mischabfälle) und etwa 680 Tonnen Metallschrott.