Bisher sind hier 50 Stundenkilometer erlaubt. Doch auch die Waiblinger Straße steht auf der Liste der Bezirksbeirats-Grünen, die für etliche Hauptverkehrsstraßen Bad Cannstatts eine Geschwindigkeitsreduzierung fordern. Quelle: Unbekannt

Von Uli Nagel

Straßenverkehr ist der Hauptverursacher von Lärm. Das gilt ganz besonders auch für die bewohnten Hauptverkehrsstraßen in Bad Cannstatt. Die Bezirksbeiratsfraktion der Grünen fordert deshalb, unter anderem für die Waiblinger und Schmidener Straße, ein überwachtes Tempolimit einzuführen. Bisher sind hier 50 Stundenkilometer erlaubt.

Laut Straßenverkehrsordnung kann die Stadt Stuttgart zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen, die von Kraftfahrzeugen verursacht werden, niedrigere Geschwindigkeiten als die innerortsüblichen 50 Stundenkilometer anordnen. Aus diesem Grund lässt OB Fritz Kuhn Tempo-40-Schilder an etlichen Steigungsstrecken wie etwa in der Hohenheimer Straße anbringen. Bis Ende diesen Jahres soll die Geschwindigkeitsbegrenzung an 19 Streckenabschnitten, die aus dem Talkessel herausführen, gelten. In Kilometern wären dies dann rund 25 Kilometer, für die Tempo 40 gilt.

Berlin, so ist es in dem Grünen-Antrag zu lesen, sei da schon sehr viel weiter. Dort sind bereits auf 536 Kilometern, was etwa 17 Prozent des Hauptverkehrsstraßennetzes der Bundeshauptstadt entspricht, Tempo 30 angeordnet; davon auf 164 Kilometern nachts zwischen 22 und 6 Uhr.

Die Bezirksbeiratsfraktion der Grünen fordert deshalb die Stadtverwaltung auf, in vier Hauptverkehrsstraßen zum Schutz der Wohnbevölkerung auf bestimmten Abschnitten ein überwachtes niedrigeres Tempo als die momentan erlaubten 50 Stundenkilometer einzuführen. Betroffen wären die Schmidener Straße von der Daimler- bis zur Lehmfeldstraße, die Waiblinger Straße zwischen Wilhelms- und Augsburger Platz, die König-Karl-Straße sowie den Straßenzug Schöne-, Bad-, Überkinger und Brunnenstraße. Allerdings sind sich die Grünen darüber einig, dass Tempo 40 für die genannten Straßenabschnitte nicht geeignet sei, das Lärmproblem von 60 Dezibel und mehr zu lösen.

Lärm gehört fraglos zu den vom Menschen verursachten Umweltbeeinträchtigungen, die zu den größten Belästigungen führen und gesundheitliche Schäden hervorrufen können. Laut einer repräsentativen Umfrage des Umweltbundesamts 2012 fühlen sich 54 Prozent der Bevölkerung in Deutschland durch Straßenverkehrslärm belästigt, 23 Prozent klagen über zu laute Flugzeuge, 34 Prozent fühlen sich von Stadtbahn- oder Zuggeräsuchen belästigt, 32 von Industrie- und Gewerbelärm sowie 42 Prozent über Nachbarschaftslärm.

„Rund 37 000 Stuttgarter sind nachts mit mehr als 55 Dezibel belastet, 15 000 sogar mit mehr als 60 Dezibel.“

Doch Lärm macht krank. Das hat die Wissenschaft längst bewiesen. Eine dauerhafte Belastung bei Pegeln von 60 bis 65 Dezibel, wie sie an Hauptverkehrsstraßen üblich sind, kann über lange Zeiträume hinweg zu Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen und schließlich in einigen Fällen zu Herzinfarkt und Tod führen. Weiter sind psychische Beeinträchtigungen wie Stressreaktionen, Schlafstörungen und Kommunikationsstörungen möglich. In Baden-Württemberg sind allein durch den Straßenverkehr etwa 250 000 Menschen ganztags Lärmpegeln von mindestens 65 Dezibel ausgesetzt.

Auch im Neckartal ist Straßenverkehr der Lärmverursacher Nummer eins. Das erfuhren die Bezirksbeiräte Mitte Februar in einer gemeinsamen Sitzung im Kursaal. Laut Thomas Schene vom Amt für Umweltschutz sind insgesamt in der Landeshauptstadt knapp 37 000 Menschen nachts mit mehr als 55 Dezibel belastet, 15 000 sogar mit mehr als 60 Dezibel. Bezogen auf Stadtbezirke und Einwohnerzahl der Neckarvororte liegt Hedelfingen mit 9,8 Prozent vor Wangen (8,0) und Bad Cannstatt (6,8). Von nächtlichem Eisenbahnlärm mit mehr als 55 Dezibel sind am meisten betroffen die Bewohner in Untertürkheim (2090 oder 13,1 Prozent) vor Münster (710/11,3) und Bad Cannstatt (5500/8,2). Bei den nächtlichen Stadtbahnbelastungen rangiert Wangen (220/2,6), vor Münster (110/1,7) und Bad Cannstatt (980/1,5).

fakten zu Tempo 30

In einer Untersuchung zu den Auswirkungen von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen kam das Umweltbundesamt zu folgenden Erkenntnissen:

Eine Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hat in den meisten Fällen keinen nennenswerten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Hauptverkehrsstraße für den Kfz-Verkehr. Andere Faktoren wie die Qualität der Lichtsignalprogramme, die Anzahl querender Fußgänger oder Bushalte, Parkvorgänge oder Halten in zweiter Reihe haben in der Regel einen größeren Einfluss.

Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen hat in der Mehrheit der untersuchten Fälle auch ohne Begleitmaßnahmen eine geschwindigkeitssenkende Wirkung. Vor allem die hohen Geschwindigkeiten nehmen ab. Je länger Tempo 30 besteht, desto besser wird die Geschwindigkeitsregelung eingehalten. Bei den Wirkungen von Tempo-30-Anordnungen gibt es große Schwankungsbreiten. Im Einzelfall sind daher Begleituntersuchungen sinnvoll, die wegen der langen Eingewöhnungszeiträume frühestens ein halbes Jahr nach der Anordnung und über mehrjährige Zeiträume erfolgen sollten.

Tempo 30 führt in der Mehrzahl der untersuchten Fälle zu wahrnehmbaren Lärmentlastungen. Dazu tragen vor allem nachts auch die geringeren Lärmspitzen bei.

Tempo 30 reduziert die Luftschadstoffbelastung, wenn es gelingt, die Qualität des Verkehrsflusses beizubehalten oder zu verbessern.

In der Praxis wurden bei Messfahrten Zeitverluste an Tempo-30-Strecken von 0 bis 4 Sekunden je 100 Meter festgestellt. Dies ist auch bei längeren Abschnitten oder einer Aneinanderreihung von mehreren Regelungen volkswirtschaftlich kaum relevant. Wichtiger für die subjektive Wahrnehmung und damit die Akzeptanz von Tempo 30 ist die Homogenität des Verkehrsflusses. Der Verkehrsfluss kann Messungen zufolge bei Tempo 30 besser sein als bei Tempo 50. Bei neuen Anordnungen sind vorhandene Grüne Wellen hinsichtlich einer Anpassung an die veränderte Höchstgeschwindigkeit ebenso zu prüfen wie Aspekte des ÖPNV.

Tempo 30 hat positive Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit. Vorliegende Studien ergeben keine Anhaltspunkte für gegenteilige Annahmen.

Bisherige Tempo-30-Anordnungen haben den vorliegenden Untersuchungen zufolge nicht zu nennenswerten Schleichverkehren geführt. Die Planung sollte eine Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit immer im Netzzusammenhang und gemeinsam mit der Qualität des Verkehrsflusses betrachten, um die Attraktivität der Hauptstraßen für den Durchgangsverkehr beizubehalten.

Tempo 30 wird von den Anwohnenden überwiegend positiv bewertet.

Infos unter www.lkargus.de/downloads/LK-Argus246_UBA_T30.pdf