Wer ständig erreichbar ist, riskiert, sich zu verausgaben. Foto: Barmer Quelle: Unbekannt

Von Edgar Rehberger

Das Mobiltelefon ist rund um die Uhr immer griffbereit, berufliche Mails werden auch am Wochenende beantwortet - wer nicht abschalten kann, riskiert, krank zu werden. Die ständige Erreichbarkeit kann zu emotionaler Erschöpfung führen. Nahezu alle Berufe sind vom technologischen Wandel betroffen. Welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Gesundheit hat, wurde jetzt erstmals in einer Studie der Universität St. Gallen erforscht.

Befragt wurden bundesweit mehr als 8000 Personen, 906 davon in Baden-Württemberg. „Die Befragung ist repräsentativ“, erläutert Studienautor Prof. Dr. Stephan Böhm von der Uni St. Gallen, der die Studie für die Barmer und die Deutsche Telekom durchgeführt hat. „Digitalisierung per se ist nicht positiv oder negativ. Relevant ist das eigene Verhalten im Umgang mit der Digitalisierung.“ Zwischen den Berufen, Branchen und Altersgruppen bestehen laut Studie eher geringe Unterschiede. Ein weiteres interessantes Ergebnis: „Eine gute Beziehung zur Führungskraft gibt den Mitarbeitenden Sicherheit im Umgang mit der Digitalisierung und geht mit verringertem Präsentismus einher.“ Wer krank ist, bleibt dann auch zu Hause. Die Flexibilisierung von Arbeit, etwa flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte, sei positiv zu bewerten, da sie mit verringerten Arbeits- und Familienkonflikten und reduzierter emotionaler Erschöpfung einhergeht.

In Baden-Württemberg können sich 51 Prozent ihre Arbeitszeit individuell gestalten, bundesweit sind es nur 43,9 Prozent. 24,6 Prozent der Arbeitsorte im Südwesten sind flexibel, bundesweit ist das nur bei 22,8 Prozent der Fall. „Die Digitalisierung ist vor allem in der Unternehmensführung, in naturwissenschaftlichen und fertigungstechnischen Berufen sowie in der IT-Branche besonders ausgeprägt. Diese Arbeitsgebiete dürften in Baden-Württemberg überrepräsentiert sein“, so Böhm.

Die Digitalisierung geht mit gesundheitlichen Nebenwirkungen einher, wie Schlafstörungen, Kopf- und Rückenschmerzen sowie emotionaler Erschöpfung. Im Ländle fühlen sich 22,8 Prozent der Beschäftigten in fertigungstechnischen Berufen emotional erschöpft, in derselben Branche berichten 29,2 Prozent der Beschäftigten, dass die Arbeitsanforderungen ihr Privat- und Familienleben beeinträchtigen.

Böhm und seine Kollegen fanden heraus, dass nur ein geringer Zusammenhang zwischen dem Grad der Digitalisierung und der Zahl der Krankheitstage besteht. Aber: Emotionale Erschöpfung von Beschäftigen in Baden-Württemberg lässt sich zu 15 Prozent auf Digitalisierung zurückführen. Die Wissenschaftler konnten Rahmenbedingungen und Verhaltensweisen ausfindig machen, die den unerwünschten Begleiterscheinungen der Digitalisierung entgegenwirken. Verzicht auf Diensthandy und -computer in der Freizeit, regelmäßiger Sport und eine gute Beziehung zum Vorgesetzten gehen mit weniger Familienkonflikten und emotionaler Erschöpfung einher.

„Der Grad der emotionalen Erschöpfung lässt sich reduzieren, das haben die Erwerbstätigen selbst in der Hand“, führt Jürgen Rothmaier, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer, aus. „Die Digitalisierung bietet viele Chancen, aber falsch betrieben führt sie zu gesundheitlichen Risiken.“ Die auf der derzeit in Hannover auf der Cebit vorgestellten neuesten technischen Entwicklungen zeigen die digitalisierte (Arbeits-)Welt von morgen. „Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes wird zunehmen - deutlich“, ist Rothmaier überzeugt. Da seien die Führungskräfte gefragt, die entsprechend gecoacht und geschult sein müssen.

Wichtig ist die Stimmung und Situation am Arbeitsplatz. Manche Unternehmen haben reagiert. „Wir bieten Hilfe bei flexiblen Arbeitszeiten“, berichtet Anne-Katrin Krempien, Leiter Health & Safety Management der Deutschen Telekom, „setzen auf moderne Arbeitswelten mit aktiven Arbeitsplätzen, Treffpunkten, Sportanleitungen, psycho-sozialer Beratung, um Burnout abzufedern.“ Alle zwei Jahre werden alle Mitarbeiter, auch international, zum Thema Belastung und Auswirkungen befragt. „Wir sehen die Herausforderungen und sind uns unserer Verantwortung bewusst.“

handlungsempfehlungen und kernthesen

Den Status Quo der Digitalisierung in der eigenen Organisation eruieren.

Mitarbeitende für Chancen und Gefahren der Digitalisierung sensibilisieren und die Selbst-Management-Fähigkeiten schulen. Zum Beispiel digitale Abstinenz von der Arbeit in freien Zeiten.

Führungskräfte in Bezug auf Anforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten der Digitalisierung schulen.

Organisationale Flexibilität nutzen und ausbauen. Zum Beispiel Arbeitszeitflexibilität schaffen und Home-Office-Möglichkeiten anbieten.

Digitalisierung auch als Chance und nicht nur als Bedrohung begreifen.

Kernthesen der Studie:

Die Digitalisierung ist voll in der Arbeitswelt angekommen. Die Unterschiede in einzelnen Berufen und Branchen fallen eher gering aus.

Größere Unterschiede bestehen hinsichtlich einzelner Facetten der Digitalisierung (Druck, schneller zu arbeiten und sich ständig fortzubilden).

Ältere und jüngere Berufstätige unterscheiden sich nur wenig in Bezug auf Technologie-Optimismus, technologischen Fähigkeiten und Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Technologie.

Digitalisierung zeigt signifikante Zusammenhänge mit emotionaler Erschöpfung (Burnout) und Konflikten zwischen Arbeit und Familie. 23 Prozent der Befragten fühlen sich durch ihre Arbeit emotional erschöpft.

Erfolgreiches Management von Digitalisierung beginnt beim Erwerbstätigen selbst.

Eine gute Beziehung zur Führungskraft gibt Mitarbeitenden Sicherheit im Umgang mit der Digitalisierung und geht mit verringertem Präsentismus einher.

Flexibilisierung von Arbeit (flexible Arbeitszeiten und -orte) ist positiv zu bewerten, da sie mit verringerten Arbeits- und Familienkonflikten und reduzierter emotionaler Erschöpfung einhergeht.

Flexibilisierung von Arbeit ist in manchen Berufen weit fortgeschritten (Marketing/PR/Beratung/Versicherung), in anderen gering ausgeprägt (Nahrung- und Genussmittel, Gesundheit).

Es bestehen große Unterschiede im Ausmaß betrieblicher Gesundheitsförderung zum Management der Digitalisierung, wie Kurse zur Stressprävention und psychischen Gesundheit.