Denis Scheck, Felix Huby, Rezzo Schlauch, Hermann Bausinger (von links) im launigen Gespräch. Foto: Bail Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Stuttgart - Dafür, dass vor Beginn der Veranstaltung sein Hörgerät „gefatzt“ ist und er nur die Hälfte der Diskussion verstanden habe, wie Hermann Bausinger am Ende der gewichtigen Gesprächsrunde im Haus der Wirtschaft freimütig bekennt, hat sich der Reutlinger Kulturwissenschaftler, wacker geschlagen. Mit „Oh Heimatland“ war der Abend im Rahmen der Stuttgarter Buchwochen überschrieben. Genau Bausingers Thema, der viele Jahrzehnte das Tübinger Institut für empirische Kulturwissenschaften leitete und die biedere Heimat- und Brauchtumskunde nachhaltig entstaubte. Vor kurzem ist der muntere Volkskundler 90 geworden und hat die „Schwäbische Literaturgeschichte“ bei Klöpfer & Meyer veröffentlicht.

Das war sicherlich der Anlass für das prominent besetzte Podiumsgespräch in der gut besuchten König-Karl-Halle. Natürlich mussten dafür bekennende Schwaben her. Der Literaturkritiker Denis Scheck, der äußerst unterhaltsam gepfefferte Buchkritiken verfasst, der in Berlin lebende Krimi- und Drehbuchautor Felix Huby, der einst wegen Beschiss mitten im Abitur von der Schule flog, sowie der frühere Grünen-Bundespolitiker Rezzo Schlauch, inzwischen Rechtsanwalt in München, Honorarkonsul von Albanien und Rektor der Hochschule für Animation-, Game- und Industrial-Design in Stuttgart. Mit einer kleinen Einschränkung, auf die Schlauch, der seine Wurzeln im schwäbischen Liberalismus sieht, wert legt: „Ich bin im Hohenlohischen aufgewachsen.“ Die harmlose Frage, was Heimat eigentlich ist, bekommt in Zeiten, in denen Menschen massenweise ihre Heimat verlassen, eine besondere Bedeutung.

Hermann Bausinger umschreibt das Gefühl mit einem amerikanischen Sprichwort: „Dort, wo ich meinen Hut aufhängen kann.“ Die Betonung des Alltäglichen liegt ihm und er wendet sich gegen starre Verwurzelung. „Der Mensch bewegt sich“, sagt er in seiner eigenen hintergründig humorvollen Art.

Viel Spott für Schwaben

Auch soziale Verhältnisse, Freunde sind mit dem Heimatbegriff verwoben, ebenso wie Sprache, was Felix Huby mit dem prägnanten „Fatzen“ eines Fadens unter großer Spannung umschreibt. Im Dialekt könne man vieles plastischer ausdrücken als in der Hochsprache. Deshalb ist für ihn Heimat da, „wo ich mich nicht verstellen muss“. Rezzo Schlauch zitiert Martin Walser: „Heimat ist sicher der schönste Name für Zurückgebliebenheit“. Auch Bausinger gehört zu den „Verhockten“ und ist trotzdem weltoffen. Seit 46 Jahren lebt er in Reutlingen und sagt unumwunden: „Es geht mir gut dort“. Eine 450 Seiten starke schwäbische Literaturgeschichte zu schreiben, in Zeiten, in denen viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, ist für den Mann, der als Kulturwissenschaftler zu den führenden deutschen Intellektuellen zählte, eine Möglichkeit, die Region als Gegenstück zur Globalisierung ins Spiel zu bringen nach dem Motto: „Lokal denken, global handeln - oder umgekehrt.“

Schwaben sind fortschrittlich, erfinderisch und Reiseweltmeister, ziehen aber Spott und sogar blanken Hass auf sich, wie Thierses Schwaben-Schelte in Berlin zeigte. Das Land hat große Dichter und Denker hervorgebracht, die mit ähnlichen Schwierigkeiten kämpfen mussten. Hermann Bausinger legt dies in seinem Kapitel über die „schwäbische Schule“ unterhaltsam dar. Heinrich Heine verspottete 1838 in seinem „Schwabenspiegel“ die, laut Bausinger, „zweite Liga“ der Dichter. Friedrich Schiller und Eduard Mörike konnte er nicht dazu nehmen, also zog er boshaft über Ludwig Uhland, Justinus Kerner und Friedrich Theodor Vischer her. Gustav Schwab sei der Bedeutendste, der Hering, „wo andere nur Sardellen sind; versteht sich, ohne Salz“. Justinus Kerner sehe Geister und vergiftete Blutwürste. Den dichtenden Oberjustizrat Karl Mayer bezeichnete er als „matte Fliege, die Maikäfer besingt“. Die Schwabendichter haben sich verständlicherweise geärgert und gewehrt.

Felix Huby gab Einblick in seine „Lehrjahre“, die im Verlag Klöpfer & Mayer erschienen sind. 33 Folgen hat der Bestsellerautor für den „Tatort“ geschrieben. Jetzt schildert er in dem autobiographisch geprägten Roman, amüsant, wie er nach dem Scheitern der Schulkarriere mit nur einem Jahr Volontariat als 21-jähriger Jungredakteur in Blaubeuren ins kalte Wasser geworfen wird. Eine nette Anekdote steuerte Rezzo Schlauch bei aus seinem liberalen, offenen Elternhaus, zu dessen Gästen auch Thaddäus Troll gehörte, der Maultaschen als Wasserleichen in Fleischbrühe bezeichnete. Deshalb wirken diese appetitzügelnd.

Auf Kritik aus dem Plenum am Ende der Veranstaltung, dass zu wenig schwäbisch gesprochen worden sei, antwortete Hermann Bausinger in seiner unvergleichlich humorvollen Art: „Wenn ein Germanist über Tragödien redet, steht er auch nicht am Pult und weint.“ Die Würde des Dialekts sei schließlich so zu reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist.