Irène Schweizer und Han Bennink. Foto: Staiber Quelle: Unbekannt

Von Thomas Staiber

Esslingen - In der Schweiz - so heißt es - geht’s recht ordentlich und auch a bitzeli langsam zu. Nicht so, wenn die Jazzpianistin Irène Schweizer am Flügel sitzt. Da bricht die Musik aus wie ein junges Pferd im Frühjahr, verlässt gewohnte Pfade und stürmt hinaus ins Freie, ins Unerhörte. Erst recht, wenn der vielseitige Schlagzeuger Han Bennik aus den Niederlanden rhythmisch Zunder gibt. Da brennt der Jazz lichterloh.

Der schwarze Kawai-Flügel in der Dieselstraße ist ja einiges gewohnt, Schmetterlingszartes und Knüppelhartes. Aber jetzt hüpfen da zwei Hölzchen auf den straff gespannten Saiten, Elfenbein und Ebenholz werden auch mal mit den Unterarmen in Cluster-Manier trätiert, bevor er wieder schön tönen und strahlen darf. Perlende Läufe werden abrupt abgebrochen, harte Kontraste platziert.

Das ist ein durchaus heftiges Tastenspiel der 75-Jährigen aus Schaffhausen, das sich nicht allzu oft in wolkenweiche Harmonien auflöst. Nichts scheint da fest notiert, alles der lebhaften Phantasie dieser Frau entsprungen. „Die blitzschnelle Verfertigung der Gedanken beim Spielen“ - so könnte in einer Abwandlung eines Kleist-Essays ihr Improvisationsstil genannt werden.

Und Bennink, dessen Vater schon im Sinfonieorchester hinter der Pauke saß, wirbelt wie wild auf seinen Fellen und Becken. So als rührte ein hyperaktiver Landsknecht die Trommel. Am liebsten knochentrocken. Die Besen bleiben meist im Köcher.

Der 74-jährige Rhythmus-Entertainer lädt sich von den Zehen bis in die raspelkurzen Haarspitzen förmlich mit rhythmischer Energie auf, gibt dem Becken von unten einen Kick, nimmt den Drum-Stick in den Mund, streichelt mit dem zweiten das mit einem Tuch bedeckte Trommelfell und lässt es urplötzlich knallen.

Dann setzt er sich auf den Bühnenboden, um auch den rhythmisch zu bearbeiten. Das Publikum quittiert es mit fröhlichem Lachen. Schweizer und Bennink funktionieren prima miteinander. Meistens führt die Frau, und der Mann kommentiert. „Verflixt“, „Rag“, „Free For All“ heißen Titel des aktuellen Albums „Welcome Back“. Auch Johnny Dyanis südafrikanisch süßes „Ntyilo, Ntyilo“ ist dabei. Das freie Spiel der beiden europäischen Free-Jazzer mündet in eingängigen Blues-Passagen, in Ragtime mit astreinem Stride-Piano und swingendem Schlagzeug, in Boogie-Phrasen und rasanten Bebop-Fragmenten mit der typischen Flatted Fifth. „Salt Peanut!“, ruft Bennink lauthals in den Raum hinein.

Das ist der Titel einer Dizzy-Gillespie-Nummer von 1942. Schweizer und Bennink bewegen sich bei diesem unterhaltsamen Konzert im Spannungsfeld von fester Form und wilder Dekonstruktion, Konvention und Eruption, Ego-Trip und Symbiose, zarter Lyrik und expressiver Heftigkeit, Geräusch und Klang, tastendem Suchen und triumphalem Finden.