Wir zeigen‘s den Cowboys: Herzogin Gloriana (Nina Mohr, Zweite von rechts)legt sich mit den mächtigen USA an. Leider nehmen ihre glorreichen Kleinstaat-Recken die Kriegserklärung etwas zu ernst. Foto: Patrick Pfeiffer Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Groß Fenwick heißt ein lauschiger Kleinstaat an sonnigen Alpenhängen, den der irisch-amerikanische Schriftsteller Leonard Wibberley 1955 für seine Kalte-Krieg-Satire „Die Maus, die brüllte“ ersonnen hat. Und die Maus brüllt ganz gewaltig in dem Roman, der 1959 mit Peter Sellers verfilmt, 1963 von Wibberley zusammen mit Christopher Sergel für die Bühne bearbeitet wurde. Diese Version hat heute als deutschsprachige Erstaufführung in der Regie von Falk Rößler an der Esslinger Landesbühne (WLB) Premiere.

Kleinstaat erklärt den USA den Krieg

Aber was brüllt denn nun die Maus? Sie brüllt: Krieg! Allen satirischen Ernstes erklärt ihn das kleine Herzogtum mit seinen 6000 Einwohnern den mächtigen USA. Doch was nach idiotischem Harakiri klingt, ist eigentlich eine genial durchtriebene Idee der regierenden Herzogin Gloriana XII. Denn Groß Fenwick hat ein Problem: Der Weinexport, der den Staatshaushalt fast ausschließlich finanzierte, ist zusammengebrochen, seit ein kalifornischer Panscher ein Billig-Imitat auf den Markt brachte. Dem Herzogtum droht der Bankrott. Was tun? Die clevere junge Monarchin besinnt sich auf ein großes europäisches Land, das einen verheerenden Weltkrieg angezettelt und verloren hat - jetzt aber dank US-amerikanischem Marshallplan als volkswirtschaftlicher Gewinner dasteht. Soll heißen: Gegen die USA verlieren, heißt siegen lernen. Die kalkulierte Kriegsniederlage würde Groß Fenwick für alle Zeiten sanieren.

So macht sich denn eine wackere Schar ahnungsloser Krieger mit dem Fischerboot auf den Weg über den Atlantik, um mit Pfeil und Bogen die USA zu erobern. Dumm nur, dass die Rechnung ganz anders aufgeht: Die Groß Fenwicker Recken erbeuten die vernichtendste und geheimste Waffe der Welt, die Q-Bombe, die ganze Kontinente auslöschen kann. Und plötzlich ist das klamme Herzogtum das mächtigste Land der Welt.

In Wibberleys Original mündet die wundersame Verwandlung der Kleinstaat-Maus zum Militärmacht-Elefanten in ein Happy End, eine märchenhafte Abrüstungsutopie samt Fürstinnenhochzeit. Ganz so ungetrübt will Regisseur Rößler in seiner Inszenierung freilich nicht rosarot malen. Vielmehr überschatte „die an die Macht verlorene Kleinstaaten-Unschuld“ das Friede-Freude-Eierkuchen-Finale.

Tragik in der Polit-Farce

Überhaupt kommt es Rößler darauf an, im 60er-Jahre-Humor der Polit-Farce „auch die bitteren, tragischen Elemente aufblitzen zu lassen“. Und zwar aus aktuellem Grund, denn „wir leben in einem Zeitalter neuer atomarer Aufrüstung“. Entsprechende Töne hat der künftige US-Präsident Trump in die Welt trompetet, im Unterschied zum Kalten Krieg der 50er- und 60er-Jahre sei das neue nukleare Wettrüsten aber „multipolar“, sagt Rößler: Beteiligt sind nicht nur zwei Weltmächte wie einst, sondern etliche Staaten - ein Anknüpfungspunkt für die Story von der brüllenden Maus. Einen zweiten, nicht minder aktuellen Gesichtspunkt sieht Rößler im Wandel Groß Fenwicks vom Idyll zur globalen Macht wie in einem Brennglas fokussiert: die „Ängste um die eigene Identität, verbunden mit Rückzugs- und Abschottungstendenzen“.

In der Esslinger Inszenierung wird dieser Konflikt und Kontrast der Identitäten medial gespiegelt: Die in den USA spielenden Szenen werden als Film gezeigt, der Schauplatz Groß Fenwick hingegen mit „betont traditionellen Theatermitteln und einer Ausstattung, die sich an Schreiber‘schen Papiertheatern orientiert“, sagt Bühnen- und Kostümbildnerin Susanne Kudielka. Für Rößler ein Ansatz, um neue und alte Welt zu konfrontieren, denn „der Film ist das Medium, in dem sich Amerika erzählt, wie es Europa seit jeher im Theater tut“.

Dass die neue (Film-)Welt denn doch wieder auf die alte zurückgreift, ist eine besondere Pointe der Inszenierung: Mit der Handy-Kamera - auch dies ein Beitrag zum Thema „brüllenden Maus“ - hat die Filmemacherin Annika Pinske „Washington in Esslingen und Umgebung gesucht und gefunden“, wie sie sagt. Das Publikum darf also gespannt sein, welche vertraute Lokalität sich beispielsweise ins Pentagon verwandelt. „Kameraperspektiven bewirken viel“, verrät Pinske. Und wenn das nicht reicht, zaubert allemal ein ins Bild rückendes Sternenbanner Ami-Feeling in die alte Reichsstadt.

Die Premiere beginnt heute um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen folgen am 19. und 27. Januar sowie am 11., 17. und 25. Februar.