Sie hält ihn für einen Prachtkerl: Helmut Zierl als Handelsvertreter Willy Loman mit Stephanie Theiß als Gattin Linda. Foto: Tom Philippi Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Stuttgart - Willy Loman lebt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ein kleiner Handelsvertreter, prädestiniert für eine legendäre Vom-Klinkenputzer-zum-Millionär-Karriere. Doch aus dem „American Dream“ wird nichts. Loman zerbricht an seinem Anspruch, die „Nummer eins“ zu werden. Sein Leben wird zu einer einzigen Lüge und endet in einer Katastrophe.

In „Tod eines Handlungsreisenden“ beschrieb Arthur Miller vor fast 70 Jahren das furiose Scheitern des mittelmäßigen Mannes an den gesellschaftspolitischen Zuständen in den USA. Prima Stoff in Zeiten, in denen sich die Bürger wieder nach heldenhafter Einfachheit sehnen, das Imponier-Gehabe ein Comeback feiert und ein Donald Trump zum Präsidenten gekürt wird. Harald Demmer inszenierte jetzt das große Drama des amerikanischen Schriftstellers im Stuttgarter Alten Schauspielhaus.

„Buy now - pay later“: Der große Schriftzug auf dem Bühnenvorhang spiegelt die Philosophie der Überflussgesellschaft, die sich alles nur noch auf Pump leisten kann. Hätte Loman einst die Wahl gehabt, er hätte wohl Trump gewählt. Am Ende seines Arbeitslebens zieht der 63-Jährige ein bitteres Fazit: Schulden, Raten, Hypotheken, Burnout. Nur sein Häuschen in New York hat er endlich abbezahlt. Da weiß er noch nicht, dass ihm sein Chef gleich den Stuhl vor die Tür stellen wird. Nachvollziehbar, dass die Sehnsucht nach einem starken Mann, einem Hardliner, wächst, der mit markigen Sprüchen Hoffnung weckt, auch wenn es eine trügerische ist.

Regie bezieht keine Stellung

Aus diesem Gefühl der grenzenlosen Verlorenheit hätte man szenisch etwas machen können. Doch Regisseur Demmer hält sich bedeckt, bezieht keine Stellung zum Stoff, auch Oliver Kosteckas Bühnenbild mit Totholzstämmen, Freiheitsstatue und öder Küche wie von Edward Hopper gemalt bleibt seltsam diffus. Die drahtlose Verbindung zur Aktualität ist nur ein Handy, mit dem Gattin Linda einen ihrer Söhne auf der Suche nach einem Geldgeber für das ganz große Geschäft anruft. Die ganze Familie lügt sich in die Tasche, um den Schein zu wahren. Ökonomisch ist ihr Leben ein Desaster, innerfamiliär läuft’s auch nicht besser. Loman hat auf Reisen eine Geliebte (Natalie Forester), weil er sich einsam fühlt. Linda verliert sich in Phantasmen und überschätzt den Gatten. Für sie ist er ein Prachtkerl, die zwei Jungs Biff und Happy vergötterten als Kinder den scheinbar selbstbewussten Vater. Jetzt ist vor allem Biff gescheitert am substanzlosen väterlichen Anspruch, der ihn prägte. Als er das Verhängnis anspricht, eskaliert die Situation.

Traumhafte Rückblenden machen die ganze Tragik dieses Untergangs sichtbar. Etwa die Erscheinung von Willys totem Bruder Ben (etwas dick aufgetragen: Frank Voß im Wolfsmantel), der mit Diamanten dicke Kohle gemacht hatte: „keine große Leuchte, aber erfolgreich“. Also ein Vorbild für Willy Loman, der selbst „zackig, beliebt, selbstständig“ sein will, der in diesem Duktus seine Jungs erziehen wollte und doch nur in die eigene Scheinwelt der angeberhaften Täuschung hineinzog.

Nachbar Charly (Martin Molitor) wird von Loman immer wieder um Geld angepumpt und bietet diesem sogar Jobs an. Der Handelsvertreter schlägt sie aus Stolz allesamt aus. Auch Charlys Sohn Bernard (Richard Erben), einst von Biff ausgenutzt und als Streber belächelt, ist auf der Siegerseite. Er verkehrt jetzt mit den ganz Großen.

Wie in einem Boxring tänzeln die Loman-Brüder von einer fatalen Situation in die nächste: Angriff, Verteidigung, Schlag. Jonas Baeck als renitenter Loser Biff und Jean Paul Baeck als Schürzenjäger Happy sind immer in Bewegung. Großartig zeigen die beiden diese physische Präsenz, diese auf dem Sprung, auf der Lauer befindliche Körperlichkeit, dieses zwanghafte Am-Start-Sein. Doch außer mit „Bräuten“ läuft gar nichts.

Die Seelenschau krönt Stephanie Theiß als buckelnde, überfürsorgliche Linda, eine Steigbügelhalterin für das fatale Rollenspiel ihres Mannes, für die gleißnerische Erfolgsrhetorik des totalen Misserfolgs. Sie ist als Person praktisch nicht existent. Fantastisch, wie sich Theiß zurücknimmt, sich quasi als reine Projektionsfläche für die widersprüchlichen Vorstellungen der Familie zur Verfügung stellt.

Nicht zum ersten Mal versucht Loman am Ende, sich umzubringen. Doch diesmal geht es tödlich aus. Fernsehstar Helmut Zierl in der Rolle des Untergehers, der sich als Stehaufmännchen tarnt, wirkt allerdings wie gebremst, die tragische Dimension erreicht er kaum. Er singt das hohe Lied des amerikanischen Self-Made-Man ohne Inbrunst, er zeigt nicht das Brüchige in Lomans Charakter. Gut ist Zierl nur in jenen Momenten, wo ihm die eigenen verfehlten Lebensprioritäten buchstäblich ins Gesicht geschrieben stehen, etwa wenn er den erfolgreichen Nachbarsohn Bernard fragt: „Was ist dein Geheimnis. Wie hast du’s geschafft?“ Doch Mitgefühl vermag Loman in Zierls allzu ungefährer Darstellung kaum zu wecken.

Vorstellungen täglich außer sonntags bis 18. März.