Musikerinnen vom Bläserquintett Ensemble Serenata lassen zunächst die Atome erklingen, bevor sie sie zu größeren Einheiten zusammensetzen. Quelle: Unbekannt

Von Dietrich Heißenbüttel

Joseph Haydns „Die Schöpfung“ stand als krönender Abschluss auf dem Programm des 17. Forums für junge Solisten. Zuvor dividierte der Oratorien-Verein am Freitag Joseph Haydn und die Schöpfung - und zwar aus der Sicht der aktuellen theoretischen Physik - ein wenig auseinander. Doch bevor Hermann J. Klinger mit seinen Ausführungen begann, verteilte sich das Bläserquintett Ensemble Serenata rund um die Zuschauer im Raum: Vier junge Holzbläserinnen und eine Hornistin ließen improvisierend „Atome“ in Form kurzer, isolierter Motive erklingen. Wenn auch nicht so stringent wie bei geübten Improvisatoren, war damit bereits für einen stimmungsvollen Auftakt gesorgt.

Auf dem Weg zur Erkenntnis richtete der Physiker, der bei Festo in führenden Positionen gearbeitet und am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gelehrt hat, ein imaginäres Mikroskop auf eine unscheinbare Weinrebe. Von einer zur nächsten negativen Zehnerpotenz kam er schließlich bei den Atomen an. Dem Begriff nach, den der antike Philosoph Demokrit geprägt hat, seien Atome unteilbar, erklärte er. Doch aus heutiger Sicht gebe es noch kleinere Elementarteilchen, deren letztes, 61., das Higgs-Teilchen, erst vor vier Jahren nachgewiesen werden konnte. Die Zuhörer erfuhren, dass die Protonen und Neutronen im Atomkern jeweils aus drei Quarks bestehen und dass sie durch die starke Kraft zusammengehalten werden, die somit auch dafür verantwortlich sei, dass die Weinrebe in Klingers Hand nicht auseinanderfiel.

Physiker nimmt die Schere

Dann jedoch griff der Physiker zur Rebschere und der untere Teil des Stöckchens fiel erwartungsgemäß zu Boden. Dafür ist die Gravitationskraft verantwortlich, die, wie sich der eine oder andere vielleicht noch erinnert, bereits Isaac Newton entdeckt hat. Es folgte die erstaunliche Erkenntnis: Gegenüber der starken Kraft ist die Gravitation sehr viel schwächer. Nur die ungeheure Masse des Planeten bewirkt, dass die Menschen mit beiden Füßen fest auf dem Boden stehen.

Ein bisschen Goethe

Dies war alles in allgemein verständlichen Worten erzählt. Kaum dürfte jemand bezweifelt haben, dass der Physiker den aktuellen Stand der Erkenntnis referierte. Und doch bedurfte es Goethes Dichterworts, „Was die Welt im Innersten zusammenhält“, um auch nur das Thema zu benennen. Die Bezeichnung „Quark“ wiederum stammt aus dem Roman „Finnegan’s Wake“. Darin verballhornt James Joyce eine Kneipenbestellung: „Three quarks for Muster Mark“. Korrekt müsste es „Quart“ (Viertel, kleines Bier) und „Mister“ heißen. Die Passage gefiel dem Physiker Murray Gell-Mann so gut, dass er die Elementarteilchen danach benannte.

In einem ersten Interludium begann das Bläserinnenquintett auf der Bühne, die Atome zu Molekülen zusammenzusetzen, wobei hin und wieder schon ein bisschen Haydn durchklang. Und auch Klinger wechselte die Blickrichtung: Er begann mit dem Urknall, der von einem Punkt ohne Raum und Zeit ausgehend, schon nach drei Sekunden zu einer beträchtlichen Ausdehnung führte. So durchwanderte der Physiker die Zehnerpotenzen und zog zwischendurch sein Handy aus der Tasche um zu zeigen, dass es ohne Einsteins Relativitätstheorie und die Erkenntnis, dass das Weltall auseinander driftet, auch keine GPS-Ortung und folglich kein Navigationsgerät gäbe - nur um am Ende selbst festzustellen, dass sich alles, was dünner als haaresbreit ist, ebenso wenig begreifen lässt wie die Weiten des Weltalls.

Heiter und geistreich

Der griechische Begriff Kosmos bezeichnet die harmonische Ordnung der Welt, erklärte Klinger schließlich. Um die darzustellen, verwies er auf die Musik: Zwischen seine Beschreibung des Urknalls und die abschließende Rückkehr zu menschlichen Dimensionen hatte das Ensemble Serenata bereits den Chorale St. Antoni und das Rondo, also den zweiten und vierten Satz von Haydns Divertimento in B-Dur, eingestreut. Es folgte noch beschwingt der erste Satz, überschrieben Allegro con spirito. Heiter und geistreich: das war der Abend gewiss, aber auch ein wenig wie eine Schulstunde.