Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Der dritte Tag des Eclat-Festivals für Neue Musik beginnt mit einer „Sideshow“ des New Yorker Talea-Ensembles, komponiert von Steven Kazuo Takasugi. Sieben Instrumentalisten sitzen starren Blicks in einer Reihe frontal am Bühnenrand, der Pianist schräg dahinter. Von ihm kommen die rhythmischen Impulse der fünfzig Mini-Szenen, die in der folgenden Stunde mimisch und gestisch in einer Art dadaistischem Musiktheater vor dem Publikum ablaufen. Der Titel des Stücks bezieht sich auf die Schaubuden im Vergnügungspark von Coney Island zu Beginn des 20. Jahrhunderts, doch neben Persiflage und Unterhaltung hat Takasugi Höheres im Sinn. „Sodom am Meer“ oder „Schimmel in einem Innenraum der ewigen Wiederkehr des Gleichen“ heißt der zweite der fünf Sätze, gefolgt von „Ein Selbstzerstörungslabor“ und „Ein chirurgisches Verfahren: Der menschliche Fisch“. Bei Zählzeit 45:34 lautet die Spielanweisung „Adagietto: Treue Schaubudenhunde geleiten Mahler in den Himmel“. Nicht genug solch musikalischer Anspielungen, die in diesem Falle in der gleichförmigen, variiert sich wiederholenden Performance tatsächlich eine Erinnerung zitieren, hat Takasugi noch Aphorismen von Karl Kraus irgendwie verarbeitet, von der Art: Wenn Tiere gähnen, haben sie ein menschliches Gesicht.

Vom Zwang zur akustisch-gestischen Performance werden die Musikdarsteller für Momente durch elektronisches Rauschen erlöst, doch jede ihrer Aktionen ist elektronisch verstärkt, wird gespiegelt zwischen Saxophon und Klarinette, Bratsche und Geige, Piano und Flöte, Cello und Percussion.

Mikrotonale Murmel- und Piepstöne

Deren maskenhaft grinsender Akteur gibt dieser „Sideshow“ die Kommandos und wird am Schluss von seinen Kollegen - „unheimliche Zwillinge, Betrüger, Komplizen, Trittbrettfahrer und deformierte Klone“ (Takasugi) unter einem schwarzen Tuch begraben.

Gegenüber dem komplexen Geflecht dieses Musiktheaters war die Aufführung von Clara Maidas „Web Studies“ einfacher durchschaubar. Auf der Videoleinwand hinter dem mit Harfe, Violine, Viola und Klavier agierenden Ensemble 2e2m illustrierte die animierte Grafik der Designerin Jenny E. Sabin die drei Sätze „Web-wake“, „Web-wave“ und „Web-wane“. Das Wachsen, Wellen und Vergehen der roten, blauen und weißen Netzbündel wurde von der Musik geräuschintensiv vollzogen.

Beim folgenden Konzert des SWR Vokalensembles lieferten die Klavier-Etüden von Brice Pauset und Mark Barden - meisterhaft interpretiert vom Piano-Professor Nicolas Hodges - die virtuosen Intermezzi zu drei konträren Vokalstücken. Nicolaus A. Hubers „Entschwindungen“ für Chor, Schlagzeug und Elektronik hat einen Verlustschrei der Tennisspielerin Serena Williams zum Ausgangspunkt und zitiert stammelnd, seufzend, schreiend Goethe, Neruda, Enzensberger und Heiner Müller: ein noch verkopfteres Stück als Anna Korsouns leises „moyioomni“, welches mikrotonale Murmel- und Piepstöne zu einem Klangorganismus anschwellen lässt, der nur durch Mikroports bei allen sechzehn Stimmen hörbar wurde. Traditionsorientiert dann Bernhard Ganders „Totenwacht“, inspiriert von einer Klosterkrypta auf Ischia, mit einer Fülle litaneiartiger Texte, die von Marcus Creed und dem SWR Vokalensemble mustergültig dargeboten wurden.