Das ewige Licht leuchte ihnen: Szene aus dem schönen, traurigen, erinnerungsfrohen Zeremoniell für die toten Ehemänner. Foto: Julian Marbach Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Stuttgart - Und dann ist er „einfach so weggegangen“, der stille und sensible Ehemann mit seiner Vorliebe für Milchreis und große Smiley-Kaffeetassen, die er der Gattin ans Bett brachte. Weggegangen in den Tod. Was ist der Tod? Eine Tür, vor der man steht - und „du dahinter“, heißt es in einer anderen Geschichte. Trauerpoesie, Erinnerungsprosa, Worte und Wortbilder für einen Abwesenden und im Nachsinnen doch noch Anwesenden, für eine jähe Lücke im gemeinsamen Leben, welche der Tod des Lebensgefährten schlug, auch wenn er nach einem langen Krebsleiden starb und nicht, wie in einem anderen Fall, Suizid beging.

Sprache der erinnernden Liebe

Diese Sprache der erinnernden Liebe ist das Bindeglied in den unterschiedlichen Geschichten von sieben Witwen aus Stuttgart und Umgebung, welche sieben Staatsschauspieler und -schauspielerinnen auf die Bühne in der Spielstätte Nord bringen. In Gesprächen schilderten die Frauen - zwischen 50 und 78 Jahre alt, Witwe seit einem Jahr oder seit vielen, bis zu 30 Jahren -, was die vom Tod geschiedene Gemeinschaft ausmachte, was sie auch nach dem Tod noch ausmacht. Gemeinsame Lieblingslieder, Wunschbilder und Projektionen („An welchen Filmstar erinnert dich dein Mann?“), die emotionale Gegenwart des Verstorbenen („Wann hast du zuletzt an ihn gedacht?“), die Wahrnehmung des Verlusts - das waren Leid- und Leitmotive des Fragens. Aus den Antworten entstand in der Leitung von Armin Petras das Theaterprojekt „The King‘s wives“: ein einfühlender Beitrag zur Veranstaltungsreihe, die unter dem Alexander Kluges Film entlehnten Titel „Abschied von gestern“ im Nord Zäsuren und Neuanfänge des Lebens und Liebens untersucht.

Erfreulich unvoyeuristisch überträgt „The King‘s wives“ Betroffenentheater à la Volker Lösch aufs Persönliche und Intime. Es wird schon mal chorisch gesprochen, und die realen Witwen, denen jeweils ein Schauspieler oder eine Schauspielerin Stimme und Gestalt geben, sind als stumme Akteurinnen mit dabei - allesamt, Witwen wie Ensemble, gehüllt in hoch geschlossenes Trauerschwarz, feierlich und mit der Anmutung altniederländischer Gemälde. Nur einer der samtroten Bühnenstühle bleibt leer: Eine der Witwen ist aus dem Projekt ausgestiegen. „Es liegt nicht an dir“, schrieb sie der Schauspielerin.

In Natascha von Steigers karg-sakralem Bühnenraum, wo die roten Kerzenleuchten des ewigen Lichts von einer Art Altar an der Rückwand ins Witwenrund getragen werden, beginnt die Aktion mit einer langen, wortlosen, geradezu séanceartigen Choreografie des verstummten Mannes, dargestellt als einer für alle von einem Tänzer, der Verkörperung des anwesend Abwesenden, des in Gesten und Windungen, Krämpfen und vergänglichen vitalen Momenten mit dem Tod ringenden „Königs“, dem schließlich die Krone vom Haupt fällt.

Toter Monarch der Monogamie

In freier formaler, nicht inhaltlicher Anlehnung an Ionescos „Der König stirbt“ besteigt dieser Monarch den Thron der Monogamie in der Erinnerung seiner Witwen. Denn im gezielt namen- und rollenlosen Ritual der posthumen Liebesgeschichten - es gibt keine exakte Besetzungsliste - ist der Verstorbene stets der Einzige fürs Leben: eben der „König“, wie hier alle toten Ehemänner genannt werden. Beziehungsknatsch oder gar Abrechnungen, Vorwürfe oder gar Hass - sie kommen nicht vor. Stattdessen ein Facetten- und Nuancenwerk liebevoller Nähe, die sich eben nicht in der großen Ekstase bildet, sondern - lebensnäher, lebenswahrer - in der Gemeinschaft des Alltags, allenfalls beim gemeinsamen Reisen, beim Tanzen oder beim Kinobesuch. Oder durchs hinreißende Temperament des Gatten, auch wenn der ausgerechnet in Crailsheim beerdigt werden will (was er dann doch nicht wird).

Freilich, „manchmal hat das schon genervt, die Stille, wenn man mal ‘ne Antwort gebraucht hätte“, meint die Witwe des Sensiblen. Und: „Wir waren sehr unterschiedlich.“ Aber dafür ließ sich der gebürtige Holländer nicht lumpen beim roten Versöhnungsrosenstrauß. Letztlich trübt kein Makel die makellose Trauer, und auch der Mut zum Weiterleben („Kann ich nicht auch ohne König Königin sein?“) bricht dem Toten keinen Zacken aus der Krone.

So ist das schöne, traurige, würdige, erinnerungsfrohe und lebensechte Zeremoniell auf der Bühne, auch wenn manche Verklärung dem Tod geschuldet sein mag, ein Hohelied auf die Bindung fürs Leben - und eine nachdenkliche Distanzmessung zum eigenen, anderen Lebensstil. „Sie war 35 Jahre verheiratet, ich bin 34 und hatte Beziehungen von maximal zwei Jahren“, sagt eine Schauspielerin über „ihre“ Witwe und sich selbst. Es klingt - zumindest - nach Respekt.

Weitere Vorstellungen: 11. und 13. Februar.