Von Angela Reinhardt

Stuttgart - In die warmen, nachgedunkelten Farben alter Barockbilder taucht dieser Flamenco-Abend ein, tief hinab ins Siglo de Oro, das goldene Zeitalter Spaniens. In einem zeitlosen, auf reinste Linien reduzierten Tanz schlägt die Schweizer Choreografin Brigitta Luisa Merki einen Bogen zurück zum heiligen Ernst jener Zeit, erkennt darin einen Ursprung für Stolz und Stärke der modernen Spanier. Die Wurzeln des Flamenco liegen in der Kunst andalusischer Landleute und im Tanz einfacher Menschen, aber er hat die großartige, jahrhundertelange Kultur Spaniens in sich aufgenommen.

Für alle vier Stücke ihres neuen Abends, der vor knapp einem Jahr in Bern Premiere feierte, hat sich die ewig einfallsreiche Merki von Werken des Barockmalers Francisco de Zurbarán inspirieren lassen, einem asketischen Zeitgenossen von Velázquez. Vor allem Mönche und Marien hat er gemalt auf seinen kargen Porträts, undurchdringliche Studien demütiger Charaktere. Ihnen huldigt die Choreografin mit einem strengen, reduzierten Flamenco, der hier wie befreit erscheint von all dem aufgerüschten Zierrat, zurückgeführt auf pure Formen.

Altertümliche Weisen

Parallel schreiten die drei „Santas de Zurbarán“ in ihren langen Umhängen, die fragende, offene Haltung ihrer Hände zieht sich wie ein Leitmotiv durch den Abend. Aus den dicken Mänteln und aus eisernen Stühlen bauen die Frauen eine Art Zinne, auf der Sängerin Karima Nayt ihre altertümlichen Weisen in den herben Flamenco-Gesang ihrer Kollegin Rocío Soto mischt. Unter den dunklen Stoffen schimmern barocke Korsagen hervor, auch der Tanz enthält barocke Elemente. Statt der Verzierungen des Flamenco sehen wir gerade, offene Arme, manchmal erinnert ihre zeichenhafte Schönheit ans Ballett oder gar den Ausdruckstanz.

In den aufrechten Frauen mischt sich religiöse Demut mit einem selbstbewussten Stolz, manchmal klopfen die Hände fordernd auf die Schenkel. Merkis Flamenco biedert sich nie durch virtuoses Übertreiben an den Zuschauer an, der Tanz wirkt hier fein, fast zurückgenommen. Eine große Rahmentrommel und ein Kastagnetten-Monolog hellen die ernste Stimmung auf, aber das Stück bleibt geheimnisvoll und von einem tiefen Ernst beseelt.

Auch den Tanz des Toreros mit dem Stier reduziert sie auf gerade, strenge Linien: „La sombra del toro“, „Der Schatten des Stiers“ ist ein Solo für Eloy Aguilar, einen langjährigen Star der Truppe, der stets im Theaterhaus dabei war. Statt Machismo und großartigen Posen stellt der faszinierende Monolog die Eleganz des Toreros (oder des Stiers?) heraus - mit weiten Bewegungen und weichen, rasanten Drehungen stilisiert der geschmeidige Aguilar das Kampfritual zum Tanz auf Leben und Tod. Durch den geschlossenen Garten, den „Hortus conclusus“, schreitet dann ein verschworener Orden des Flamenco, verfolgt in weiten Derwischröcken seine meditativen Rituale. Merki kann den Flamenco in jeder Nuance färben, ohne sein Material zu verfälschen - nie verletzt sie den Geist des spanischen Nationaltanzes, ergründet stattdessen seine Sprache immer tiefer.

Fünf Stühle aus Eisenstäben, die jeweils in einem stilisierten Stierkopf enden, prägen als Kunstobjekte die zweite Hälfte des Abends; fast befreit nähert sich das „Nocturno flamenco“ den bekannteren Strukturen des Flamenco an, wirkt leichter als die introvertierten Bilder. Zur dunklen, wunderbaren Stimme von Karima Nayt, zur großartigen Gitarren- und Percussionkunst der Instrumentalisten enthüllt jeder der großartigen Tänzer in einem Solo sein Geheimnis, gemeinsam stellen sie den Flamenco als lebensfrohen Tanz heraus. Mit einer kleinen Wendung am Schluss verneigt sich dieses Stück noch einmal vor dem Titel des Abends: vor Ritualen und Geheimnissen.

Vorstellungen 10. bis 13. und 16. bis 19. November im Theaterhaus.

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