Statt vorsichtig agierender Tänzer genießt man Interpreten voll Selbstvertrauen. Hier Elisa Badenes und David Moore. Foto: Stuttgarter Ballett Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Was ist das Geheimnis des Stuttgarter Balletts? In einer Zeit, wo bei den Kollegen in München die halbe Kompanie ausgetauscht wird, wo das Staatsballett Berlin massenweise Gäste einlädt, um bestimmte Rollen überhaupt besetzen zu können, wo man sich um die Interpretation von John Neumeiers Kunstwerken in Hamburg leise Sorgen machen muss - da zaubert Reid Anderson seit 20 Jahren unverdrossen junge Tänzer aus dem Hut, egal wie viele Rademakers oder Camargos ihm schnöde den Rücken kehren.

Noch besser ist: Die Frischlinge haben keinerlei Anlaufschwierigkeiten, sondern wuppen in einer praktisch komplett neu besetzten Aufführung der „Zähmung“ jede Menge wohlüberlegter, technisch müheloser und völlig entspannt getanzter Debüts auf die Bühne. Statt nervöser, vorsichtig agierender Tänzer genießt man, obwohl das Durchschnittsalter in den Hauptrollen irgendwo um die 22 Jahre liegt, Interpreten voll Selbstvertrauen, die in John Crankos Shakespeare-Adaption nicht brav die berühmten Vorbilder kopieren, sondern mit eigenen Ideen eigene Charaktere erschaffen.

Verspielte Weltsicht

Neben der bekanntermaßen großartigen Katharina von Elisa Badenes ist der Star des Abends der junge Pablo von Sternenfels als Petrucchio: Ein sonniger Draufgänger, der sein Käthchen nicht zähmt, sondern ihr den Spaß am Leben zeigt, seine haltlos verspielte Weltsicht. Rein technisch gesehen dreht er butterweich, partnert selbst die Schultersitze im letzten Pas de deux mühelos und schraubt wie selbstverständlich seine Dreifach-Tours in die Luft (zu Richard Craguns Zeiten waren sie noch ein Alleinstellungsmerkmal: Tempi passati!). So tanzt man sich zum Ersten Solisten. Und auch das zweite Paar trifft perfekt die Balance zwischen romantisch und zickig: Jessica Frye ist eine süße, allerdings insgeheim ausgekochte Bianca und erweist sich im nächtlichen Pas de deux als feine Lyrikerin. Als ihr Liebster geht Adhonay Soares da Silva mit edler Technik gegen die Mitkonkurrenten in Führung, schlägt den herrlich eitlen Rockstar von Fabio Adorisio sowie den dauerverkühlten Gecken Gremio aus dem Feld, dessen Porträt Adam Russell-Jones in feinster britischer Charakterkomik anlegt. Genau wie sein Kollege Louis Stiens übrigens, der gerade mal zwei Wochen vorher debütierte und es tatsächlich schaffte, in einer Minirolle als Diener das Opernhaus zum Glucksen zu bringen. Es sind ganz einfach die Details, die glücklich machen, die offensichtliche Freude des Ensembles an diesen immerhin fast 50 Jahre alten Rollen.

Innige Zuneigung

Im finalen Pas de deux lässt die neue, nachtblaue Beleuchtung die innige Zuneigung zwischen Katharina und ihrem verliebten Bezähmer noch heller strahlen. Nachdem sich auch Constantine Allen in der Sommerpause zum unwiderstehlich charmanten Macho gesteigert hat, glänzt das Stuttgarter Ballett von heute auf morgen wieder mit einer tollen Petrucchio-Riege. Da niemand für die Einstudierung namentlich genannt wird, geht die Bewunderung schließlich an sämtliche Ballettmeister der Kompanie - und an die John-Cranko-Schule, die den Großteil der Debütanten ausgebildet hat.

Weitere Aufführungen am 20. Oktober, 27. November, 3., 8., 10., 11., 13. Dezember.

Aktuelle Besetzungen unter www.stuttgarter-ballett.de