Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Die Foto-Konterfeis der Klassikstars gleichen heute immer häufiger Pin-Ups. Schönheit ist - wie im Pop - ein wichtiges Kriterium für den Marktwert von Virtuosen und Virtuosinnen geworden. Und so ist es fast logisch, dass auf den Podien gelegentlich eine sinnliche Körperlichkeit zutage tritt, die eigentlich im Rahmen klassischer Konzerte tabuisiert ist. Denn die Körperlichkeit der Musizierenden hat im Konzertsaal hinter dem Klangereignis - seiner zeitlichen Organisation und Raumwirkung - zurückzutreten, ja, wird von ihm aufgesogen. Was zählt, ist die Leistung der am Unspielbaren sich Abkämpfenden - und je leichter es klingt, desto größer das Heldentum.

Auch die deutsch-russische Pianistin Olga Scheps, Echo-Preisträgerin von 2010, sieht blendend aus. Und zumindest was den ersten Teil ihres Klavierrezitals in der Russ-Meisterpianisten-Reihe im Stuttgarter Beethovensaal angeht, ist genau dies eines ihrer Showelemente: eine äußerlich sinnlich zur Schau gestellte Tonproduktion. In Frédéric Chopins g-Moll-Ballade konnte das aber nicht vom Anschein ablenken, dass das Werk der Pianistin lediglich als Warmspieler diente. Der virtuose Aufwand und die Kraft, die Scheps für die Umsetzung brauchte, waren größer als der klangliche Effekt, die extremen Verzögerungsmomente ergaben oft keine zwingende Logik, und virtuose Elemente gingen oft in pedalmarinierten Klangwolken auf.

Zur Schau gestellte Körperlichkeit

In Chopins viersätziger Klaviersonate Nr. 3 h-Moll war die Deutsch-Russin dann mehr bei sich: Weiche Melodik, dämonisch grummelnde Chromatik, perlende Tanzrhythmen, quecksilbriges Gewusel - das alles gehört zu den Stärken der 30-Jährigen, die alle Sätze sorgfältig ausgestaltete. Im Largo-Satz freilich wirkte ihr Gestaltungswille zu stark, die Zeitverhältnisse zerdehnte sie zu sehr, und die erspielte Zeit wollte sich nicht mit Sinn füllen. Anders das Bild nach der Pause: Scheps verfügt über eine phänomenale metrische Gestaltkraft. Das kam nicht nur Sergei Rachmaninows „La Folia“-Variationen über ein Thema von Corelli zugute, in denen Scheps ihr ganzes Repertoire an virtuosen Finessen und Kraftakten bis hin zum finalen Akkordmassaker demonstrieren konnte. Scheps nahm nun ihre zur Schau gestellte Körperlichkeit zurück und widmete sich dem Wesentlichen: der rasenden, wütenden, wilden Klaviersonate Nr. 7, die Sergei Prokofiew 1942 geschrieben hat. Ein noch immer modern wirkendes Werk in seinem motorisch-bruitistischen Furor der Außensätze, die ihm den Beinamen „Kriegssonate“ einbrachten. Und auch der melancholische Mittelsatz ging dank Olga Scheps’ satt ausgekosteter Farbpalette ins Ohr. Einen schönen Kontrast zur final gespielten lärmenden Klaviersonate setzte Scheps’ dann mit einer sehr meditativen Zugabe: einer „Gymnopédie“ als eine kleine Hommage an den französischen Komponisten Eric Satie, dessen 150. Geburtstag sich in diesem Jahr wiederholt.