Von Martin Mezger

Stuttgart - Bachakademie-Dirigent Hans-Christoph Rademann hat in eigener Interpretensache einen „mitteldeutschen Bach-Stil“ mit Ecken und Kanten ausgerufen. Nun gibt es in der historischen Aufführungspraxis freilich verschiedene Wege, die alle ins evangelische Rom, also zu Bach, führen. Einen ganz anderen als Rademann schlägt das Genfer Ensemble Gli Angeli ein, löblicherweise als Kontrastprogramm aus dem Markt originalklingender Möglichkeiten mit drei Kantaten des Meisters in die Stiftskirche eingeladen.

Ganz im Sinne des Ensemblenamens wird man bei den „Engeln“ durch eine Bach-Façon der eleganten Beschwingtheit, der schwerelosen Beweglichkeit, der lockeren musikalischen Beredsamkeit selig. Dem entspricht an erster Stelle die Vokalbesetzung: kein Chor, sondern - getreu der mutmaßlichen originalen Aufführungspraxis Bachs - ein Solistenensemble, das in den Chorsätzen durch jeweils einen „Ripienisten“ pro Stimme verstärkt wird. Im Einleitungschor der Kantate „Ärgre dich, o Seele, nicht“ (BWV 186) führt das zu einer superben Balance, ja sogar zu einer leichten Dominanz des Instrumentalklangs. Auch dies durchaus im Sinne vielfach belegter barocker Klangvorstellungen.

Ein Teufelchen, das an der Seligkeit kratzt, steckt freilich im Detail der Homogenität, die von der heiklen Zweierbesetzung pro Stimme nicht immer in jener perfekt verschmelzenden Präzision gewahrt wurde, wie sie dem seraphischen Reinheitsideal des Engel-Ensembles angemessen wäre. Zur ungetrübten Klangrealität wurde das Ideal freilich im eröffnenden Chorsatz der Kantate „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“ (BWV 26). Mit den rasant nach oben federnden Skalen der Instrumentalparts zeichnet Bach ein Bild des wie im Funkenflug zerstiebenden Menschenlebens, und dazu skandieren die Unterstimmen des Chors unter der ehernen Choralmelodie im Sopran das insistierende Nichtigkeitsmotto. Bei den Angeli, geleitet vom zugleich den Bass singenden Stephan MacLeod, wird daraus ein dramatisch illuminiertes Klanggemälde: leichtfüßig, aber nicht leichtgewichtig, agil und schlackenlos. Auch die Chöre von „Die Elenden sollen essen“ (BWV 75) erhoben die Vokalisten und die durchweg überzeugenden Instrumentalisten zur Ehre eines luminosen, luzide durchgestalteten, himmlisch schwebenden und schwingenden Klangs.

Einige Erdenreste hafteten indes an den solistischen Aufgaben der Vokalisten, dort steckten einige größere Teufel in etlichen Details der bisweilen teuflisch schweren Parts. Nahm die Sopranistin Aleksandra Lewandowska immerhin mit der schlichten Anmut ihrer eher kleinen Stimme für sich ein, gickste sich der Kontratenor Damien Guillon mit flatterndem, fistelndem Timbre durch die Alt-Soli. Und der Tenor Valerio Contaldo versteht sich zwar auf strahlende, edelmetalische Spitzentöne, aber für Bachs rapid ratternde Koloraturenakrobatik fehlt ihm die geläufige Gurgel. Auch Ensembleleiter MacLeod kann in der Bass-Rolle nicht immer mithalten mit Bachs bewegter Klangrhetorik, obwohl er durchaus das Format zum eifernden Prediger in Tönen hat. Auf der Kanzel selbst steht freilich Guy Ferber als Trompeten-Cherub und bläst das schwierige Solo zur Bassarie „Mein Herze glaubt“ in majestätischer Brillanz: überragend und grandios.

Heute Beim Musikfest

11 Uhr, Staatsgalerie: Führung „Palimpseste an weißen Ufern antikisch - Cy Twombly und James McNeill Whistler“ mit Catharina V. Wittig (Führung) und Rudolf Guckelsberger (Sprecher).

13 Uhr, Stiftskirche: Vom Umgang mit Reichtum. Vortrag von Herta Däubler-Gmelin. Orgelwerke von Johann Sebastian Bach mit Jörg-Hannes Hahn.

15 Uhr, Hospitalhof: Musikfest-Café. Henning Bey im Gespräch mit Bachakademie-Intendant Gernot Rehrl.

17 Uhr, Buchhaus Witwer: Workshop Rhythmus für Kinder ab fünf Jahren mit Katharina Gerhard.

19 Uhr, Auditorium der Firma Alfred Kärcher in Winnenden: Musik von Johann Sebastian Bach (Auszüge aus „Die Kunst der Fuge“) und György Kurtág. Keller Quartett.

22 Uhr,Leonhardskirche: Chattin with Bach. Daniel Schmahl Quartett.