Die originelle Mischung macht‘s: Der Esslinger Landesbühnenintendant Friedrich Schirmer (rechts), Chefdramaturg Marcus Grube (Mitte) und der Junge-WLB-Leiter Marco Süß präsentieren den nagelneuen WLB-Spielplan. Foto: Robin Rudel Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen/Tübingen -Wie, die Saison hat gerade erst begonnen, und schon ein neuer Spielplan? Na klar, die drei Landesbühnen in Esslingen, T übingen und Bruchsal sind wie immer früh dran, um auf dem heiß umkämpften Gastspielmarkt beizeiten punkten zu können - wozu sie der Kulturauftrag des Landes verpflichtet. Gestern gaben die Bühnen in Tübingen ihre Spielpläne für die Saison 2017/18 bekannt, die Programme sind damit für fast zwei Jahre festgeklopft. Zumindest weitgehend: Esslingens Intendant Friedrich Schirmer stellte noch eine Novität in Aussicht, über die er vorerst nichts verraten will

Ansonsten zeichnet sich an der Esslinger WLB für 2017/18 ein origineller, fein balancierter Mix ab aus klassischen Stoffen, Ausgrabungen und Uraufführungen nach bühnentauglichen Erfolgsfilmen. Wie in der Schirmer-Intendanz Usus werden die Klassiker nicht einfach vom Blatt gespielt, sondern in einer Art Annäherungsmodus gezeigt. Mit einer Ausnahme: Ibsens „Hedda Gabler“ kommt sozusagen pur auf die Bühne - das Drama einer in Konventionen eingezwängten Frau und ihres Ausbruchsversuchs, der zum Vernichtungswerk am Ehemann und am wieder aufgetauchten Jugendgeliebten wird, der in Schmerz und Tod mündet.

Der dritte „Faust“

Shakespeares „Sommernachtstraum“ dagegen gibt es in Heinz Rudolf Kunzes Musical-Neubearbeitung als Maille-Open-Air, Goethes „Faust I“ in einer rockmusikalisch beschleunigten „Reloaded“-Fassung für zwei junge Schauspieler: ein Kontrapunkt zur WLB-Version mit den großen alten Schauspieldamen Monika Barth und Elke Twiesselmann, zugleich Bindeglied zum kürzlich herausgekommenen „Faust II“-Rockmusical. Die „Freischütz“-Fassung wiederum greift laut Schirmer auf den „volkstheatralischen Urstoff“ hinter Webers Oper zurück, mit Musik des Romantikers und doch als ganz eigenes Schauspiel über Unfreiheit und die Verführungskraft des Bösen.

Die Vergegenwärtigung von Geschichte zu heutiger Bedeutung, ein Leitmotiv der Spielpläne Schirmers und des Chefdramaturgen Marcus Grube, wird fortgesetzt mit einer vielversprechenden Ausgrabung: Ilse Langners 1928 verfasstem Stück „Frau Emma kämpft im Hinterland“ - einem Sozialpanorama von der sogenannten Heimatfront des Ersten Weltkriegs, von Kriegsmüdigkeit, Elend, Notprostitution und zwischenmenschlicher Entfremdung. Pünktlich zum 100-jährigen Kriegsende setzt die WLB damit den Schlusspunkt der Inszenierungsfolge zur „europäischen Urkatastrophe“. Jüngere Zeitgeschichte reflektiert Helmut Dietls und Ulrich Limmers „Schtonk“, den Skandal um Hitler-Tagebuchfälscher Konrad Kujau aufgreifender Kinoknüller von 1992, der zu Schirmers großer Freude in Esslingen erstmals den Weg auf die Bühne findet. Ebenso wie Ulrike Grotes eigene Theaterfassung ihrer schwäbischen Filmkomödie „Die Kirche bleibt im Dorf“, die an der WLB mit Schwaben-Rock live aufgemischt wird.

Neben „Schtonk“ geht es auch in Stephen Sachs’ „Das Original“ um Fälschung oder Echtheit, allerdings im Fall eines angeblichen Jackson-Pollock-Bilds. Ein Stück, so grotesk wie die Realität: Meisterfälscher Beltracchi lässt grüßen.

Tom Blokdijk, der bereits Hesses „Narziß und Goldmund“ dramatisierte, nimmt sich Jack Londons „Seewolf“ vor, Bov Bergs Roman „Auerhaus“ führt zurück in schwäbische Provinz-Gefilde Anfang der 80er-Jahre und eine abenteuerliche WG junger Menschen zwischen Abi, Schwulenszene, Kiffen und Wahnsinn. Ortrud Beginnens „Mein Freund Rudi“ greift nach dem anderen Ende einer einst jugendbewegten Revoluzzer-Fahnenstange. Der „Wohltätigkeitsabend für alternde 68er“ versammelt die ergrauten Kämpen im „Rudi Dutschke Wellness Center“ zwischen Baader-Meinhof-Nippes und Che-Guevara-Obstteller. Von der 1999 gestorbenen großen Chanteuse und Theater-Diva Beginnen, die 2018 80 Jahre alt geworden wäre, lässt die WLB noch eine weitere Satire-Großtat wieder aufleben: den Liederabend „Wir Mädel singen“, einen wohlmeinenden Angriff deutscher Willkommenskultur auf alle Migrationshintergründe, der bräunlich in die Abgründe geht.

IS-Kämpfer und Weltkriegssoldat

Mit „Kriegsspiele“ von Tobias Ginsburg stellte der Junge-WLB-Leiter Marco Süß ein außergewöhnliches Jugendprojekt vor: eine Stückentwicklung über die rätselhafte Faszination des Kriegs, die heute Tausende von jungen Menschen in die Fänge des IS lockt. Das Stück konfrontiert den realen Fall eines ehemaligen IS-Kämpfers mit dem ebenso realen, aber 100 Jahre älteren Schicksal des jungen Esslingers Adolf Stadler, der in den Ersten Weltkrieg zog.

Zoran Drvenkars „Totem von Okkerville“ setzt an der Jungen WLB die Erfolgsproduktion „Die Kurzhosengang“ fort - mit etlichen Verwicklungen und zahlreichen Geheimnissen. „Der Miesepups“ für die jüngsten Zuschauer handelt vom gleichnamigen Griesgram, einer zunächst lästigen Begegnung und ihrer wunderbaren Wirkung. Auch in „Der feine Arthur“ geht es um einen Außenseiter, nämlich eine weiße, ordnungsliebende Ratte, und um Gemeinsamkeit trotz aller Unterschiede. In Paul Maars „Wiedersehen mit Herrn Bello“, dem Weihnachtsstück im Schauspielhaus, ist der Wunderhund nicht mehr Mensch, sondern wieder Hund, allerdings einer, der sprechen kann. Was fatale Folgen hat, denn nun fängt ihn ein Dompteur als Sensation für den Zirkus ein.

Und die anderen?

Auch in Tübingen gibt es einen „Faust I“, ebenso eine Film-Adaption nach Aki Kaurismäkis „Mann ohne Vergangenheit“. Huxleys „Schöne neue Welt“ wird dramatisiert, Heiner Kondschaks „On the road again“ ist ein musikalischer Trip „von der B 27 auf die A 8“. Am „Faust“ führt auch in Bruchsal kein Weg vorbei, zum 100. Geburtstag Heinrich Bölls steht „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ auf dem Plan, außerdem Produktionen von Eric-Emmanuel Schmitts „Vierundzwanzig Stunden im Leben einer Frau“ nach Stefan Zweig bis zu Balzacs Wirtschaftskomödie „Mercadet“.

Premieren der Esslinger Landesbühne in der SPielzeit 2017/18

Schauspielhaus

Henrik Ibsen: Hedda Gabler. Premiere am 23. September 2017.

Jack London: Der Seewolf. Uraufführung der szenischen Romanbearbeitung von Tom Blokdijk am 13. Oktober 2017.

Ulrike Grote: Die Kirche bleibt im Dorf. Uraufführung der Theaterfassung am 7. Dezember 2017.

Ilse Langner: Frau Emma kämpft im Hinterland. Premiere am 25. Januar 2018.

Helmut Dietl und Ulrich Limmer: Schtonk. Uraufführung der Theaterfassung am 10. Februar 2018.

Carsten Golbeck und Bernd Feuchtner nach der Oper von Carl Maria von Weber: Der Freischütz. Uraufführung am 28. März 2018.

Bov Bjerg: Auerhaus. Gemeinschaftsproduktion mit der Jungen WLB. Premiere am 8. Juni 2018.

Podium

Ortrud Beginnen: „Wir Mädel singen“ - Eine deutsche Angelegenheit. Premiere am 24. September 2017.

Stephen Sachs: Das Original. Premiere am 25. Januar 2018.

Nina Wurman: Dream A Little Dream - Lieder zur Nacht. Uraufführung am 28. März 2018.

Johann Wolfgang von Goethe: Faust I - Reloaded. Premiere am 13. April 2018.

Ortrud Beginnen: Mein Freund Rudi - Ein Wohltätigkeitsabend für alternde 68er. Premiere am 30. April 2018.

Freilicht in der Maille

Ein Sommernachtstraum. Musical nach William Shakespeare. Neufassung und Songtexte von Heinz Rudolf Kunze. Musik von Heiner Lürig. Premiere am 21. Juni 2018.

Junge WLB

Zoran Drvenkar: Die Kurzhosengang und das Totem von Okkerville. Ab elf Jahren. Uraufführung am 16. September 2017.

Kirsten Fuchs: Der Miesepups. Ab vier Jahren. Uraufführung am 17. September 2017.

Paul Maar: Wiedersehen mit Herrn Bello. Ab fünf Jahren. Uraufführung am 25. November 2017.

Tobias Ginsburg: Kriegsspiele. Ab 13 Jahren. Premiere am 3. März 2018.

Claude Boujon: Der feine Arthur. Ab sechs Jahren. Premiere am 17. März 2018.