Die Deutsch-Griechin Vasiliki Roussi brilliert im Alten Schauspielhaus in der Rolle der Edith Piaf. Foto: Sabine Haymann Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Sie hat ihr berühmtestes Chanson wirklich gelebt - ohne jede Reue, ohne Maß und Bedenken stürzte sich Edith Piaf schon als junges Mädchen ins Leben, nahm auch später kaum Rücksicht auf andere oder auf ihren eigenen Körper. „Alles beginnt heute mit dir“, so heißt es in der letzten Zeile von „Non, je ne regrette rien“: Mit jedem neuen Liebhaber fing ihr Leben neu an, diese verzehrende Lebenslust nährte gewissermaßen ihre Kunst.

Nur eine Handbreit größer als die echte Piaf, porträtiert Vasiliki Roussi die französische Ikone im Alten Schauspielhaus in Stuttgart als fröhliche, herbe, oft ordinäre, einsame und unglaublich starke Frau. Das viel gespielte Stück der vor fünf Jahren verstorbenen englischen Autorin Pam Gems stammt aus dem Jahr 1978, herausgebracht hat es damals die Royal Shakespeare Company. Es beginnt als Rückblick: Bei einem Konzert bricht die geschwächte, verwirrte Sängerin zusammen. Von da aus erzählt uns Gems die Geschichte des 15-jährigen Mädchens Edith Gassion, das auf der Straße singt, von einem Nachtclubbesitzer entdeckt wird und später Weltkarriere macht. „Rotzig und frech“ soll sie singen, so sagt ihr dieser Leplée, bevor sie von ihm den Künstlernamen Piaf, zu Deutsch Piepmatz, verpasst bekommt.

Die Liebe ihres Lebens

Aus dem Hurenleben mit ihrer Filzlaus-geplagten Freundin Toine über die zweifelhafte Bekanntschaft mit Verbrechern steigt sie in bessere Clubs auf, muss sich im Zweiten Weltkrieg den Vorwurf der Kollaboration gefallen lassen und freundet sich mit Marlene Dietrich an (nicht souverän genug: Ilona Christina Schulz).

Die Affäre mit dem Boxer Marcel Cerdan, der großen Liebe ihres Lebens, ist ein Skandal, nach seinem Unfalltod kommen zahllose weitere Liebhaber, Edith kann das Alleinsein nicht ertragen. Dem Alkohol folgen Tabletten und schließlich Morphium, das ihr über die Schmerzen eines Autounfalls hinweghelfen soll und zur Sucht wird.

Bei aller Liebe zu seiner lebensprallen Protagonistin übertreiben es die Dialoge des Stücks doch manchmal mit der Gossensprache. Das Ordinäre wirkt auf Dauer aufgesetzt, historische Ereignisse werden mit ein paar groben Klischees hinskizziert. Dafür vermisst man biografische Einzelheiten - viel zu wenig Gewicht etwa legt die Autorin auf Piafs Förderung junger Künstlerkollegen, ihr Geliebter Georges Moustaki fehlt, ebenso die Schwangerschaft mit 16 Jahren.

Für Stuttgart hat Regisseur Ulf Dietrich das Stück etwas gekürzt und die Chansons umgestellt; als Ausstattung reichen ein paar Requisiten, denn natürlich ist das Wichtigste an diesem Abend die Hauptdarstellerin, die in praktisch jeder Szene auf der Bühne steht. Sie stammt passenderweise aus dem Hallschlag: Vasiliki Roussi wuchs in Stuttgart auf und spielte während ihrer Musicalkarriere in Wien, Berlin und vielen anderen Städten, aber noch nie in Stuttgart. Die Deutsch-Griechin ist eine großartige Piaf, entwickelt ihre Figur auch sängerisch vom grölenden Gossenkind zur selbstbewussten, nicht minder frechen Künstlerin, die immer ein wenig in Abwehrhaltung steht und frech das Kinn nach oben reckt. Je subtiler und melancholischer ihr Gesang wird, desto zynischer lässt Roussi Piafs direkte Sprache klingen, außerdem hat sie ein wunderbar dreckiges Lachen parat.

Alle anderen Mitwirkenden wechseln ständig die Rollen und sind im Grunde nur Stichwortgeber, die durch ihre gelungenen Kurzporträts aber oft genug Interesse für die Personen am Rande von Piafs Leben wecken: Dimetrio-Giovanni Rupp als ihr letzter Ehemann Theo, Heike Schmidt als ihre lebenslange, bodenständige Freundin, Christoph Bangerter, Ralf Grobel, Norbert Aberle und Lutz Erik Aikele.

Andrew Hannan hat perfekte Arrangements für Klavier, Cello und Akkordeon geschrieben und leitet von seinem Flügel aus die kleine Band. Denn stärker als jeder Dialog dieses Stücks erzählen die berühmten Chansons wie „La vie en rose“ oder „Hymne à l’amour“ von der großen Künstlerin Edith Piaf.

Weitere Aufführungen im Alten Schauspielhaus bis 4. Juni täglich außer Sonntag. Tickets unter www.schauspielbuehnen.de