Ein privilegierter Erinnerungsort wird auf eine harte Probe gestellt: Die Sanierung des Nürtinger Hölderlinhauses lässt auf sich warten. Foto: Holzwarth Quelle: Unbekannt

Von Thomas Krazeisen

Nürtingen -Eigentlich hätte das Projekt längst auf den Weg gebracht werden sollen. Doch nun liegt die Sanierung des Nürtinger Hölderlinhauses - wieder einmal - auf Eis. Eine Mehrheit im Gemeinderat stimmte vor einer Woche einem Antrag der CDU zu, das Projekt um ein Jahr zu schieben und zunächst Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen. Zu unklar ist derzeit die finanzielle Situation der Stadt, die vor einem Jahr vom Regierungspräsidium die rote Karte gezeigt bekommen hatte: Die Behörde hatte den Etatentwurf der Stadt bis 2019 als nicht genehmigungsfähig zurückgewiesen. Auch die Aufstockungspläne für das Hölderlinhaus waren erst einmal vom Tisch. Nach dem Willen der Stadtverwaltung soll die dringend nötige Ertüchtigung des historischen Gebäudes mit einer Vergrößerung des bestehenden Hauses einhergehen. Entsprechende Anläufe der Verwaltungsspitze, den Stadträten diese Lösung vor dem Hintergrund einer neuerdings angeblich merklich verbesserten Finanzlage schmackhaft zu machen, hat der Gemeinderat zuletzt freilich gestoppt. Die Zeit drängt andererseits, schließlich will man 2020 zum 250. Geburtstag des großen Dichters, der hier den größten Teil seiner Kindheit und Jugend verbracht hat und in späteren Jahren immer wieder in „der Mutter Haus“ zurückgekehrt ist, nicht blamiert dastehen.

Die Zeit drängt

Zwar ist bei der SPD, der CDU und den Freien Wählern die Mehrheit für eine Realisierung der Sanierungs- und Erweiterungspläne von Oberbürgermeister Otmar Heirich. Doch es gibt, namentlich in der Fraktion Liberale-Aktive Bürger-FWV, auch solche Räte, die meinen, die Hölderlinstadt Nürtingen könne das große Jubiläum ganz gut auch ohne einen Umbau des Hölderlinhauses gebührend feiern.

Im Rathaus setzt man seit längerem sozusagen auf eine XXL-Sanierung des maroden Gebäudes, das aufgestockt werden und ein gewalmtes Mansard-Dach wie zur Zeit Hölderlins erhalten soll. Auf diese Weise, so das Kalkül, könnten gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Man hätte ein runderneuertes Gebäude mit historischer Dachform und obendrein deutlich mehr Nutzfläche als derzeit zur Verfügung - rund 330 Quadratmeter, die vor allem der Volkshochschule zugute kommen sollen.

Eine Aufstockung, die immer mal wieder fälschlicherweise als vom Gemeinderat bereits beschlossen kommuniziert wird, würde nicht nur das äußere Erscheinungsbild des über mehrere Jahrhunderte gewachsenen Gebäudes verändern - konkret rechnet die Machbarkeitsstudie mit einer Erhöhung bei dieser Variante um etwa 2,50 Meter. Vielmehr stellt sich nach den Zahlen der Stadt auch die grundsätzliche Frage: Braucht man den zusätzlichen Raum überhaupt? Immerhin beliefen sich nach den aktuellen Berechnungen der Verwaltung die Kosten für diese erweiterte Sanierungsvariante auf stattliche 4,6 Millionen Euro gegenüber geschätzten 2,6 Millionen bei einer kleinen Lösung, also einer Modernisierung des bestehenden Gebäudes.

Laut einem von der Stadt in Auftrag gegebenen Gutachten aus dem Jahr 2009 stehen circa 1250 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Die Stadt geht in ihren aktuellen Berechnungen gar von rund 1600 Quadratmetern aus. So oder so, legt man den von der Stadt selbst angegebenen Flächenbedarf zugrunde, kommt man auf etwa 880 Quadratmeter. Damit aber hätte man bereits jetzt eine stattliche Raumreserve zur Verfügung, die Fläche für eine angemessene Hölderlin-Dauerausstellung mit eingerechnet. Zumindest das Argument eines zusätzlichen Raumbedarfs für die Bildungsarbeit am künftigen Zentrum Schlossberg verfinge nach den Zahlen, welche die Verwaltung selbst vorgelegt hat, nicht. Als weitaus gravierender als das finanzielle Risiko könnte sich das bauhistorische erweisen, das man eingeht, sollte man sich am Ende ohne erkennbare Not für eine Aufstockung des Hölderlinhauses entscheiden. Anders als in Tübingen, wo der ursprüngliche Hölderlinturm einst abgebrannt ist und durch einen neuen ersetzt werden musste, kann man in Nürtingen noch ein weitgehend intaktes Originalgebäude vorfinden. Dass es sich um eine „erhaltenswerte Bausubstanz“ eines „privilegierten“ Hölderlin-Ortes handelt, stellte 2009 auch die Tübinger Hölderlin-Gesellschaft unter Berücksichtigung der im selben Jahr vom Nürtinger Bauhistoriker Johannes Gromer vorgelegten Studie fest.

Bei der kostengünstigen Sanierung im Bestand, für die sich der Nürtinger Hölderlinverein stark macht und die im Gemeinderat die Liste NT 14 beantragt hat, könnte man die ohnehin anstehenden Maßnahmen für Brand- und Wärmeschutz, EDV-Technik und Barrierefreiheit ohne nennenswerte Eingriffe in die Bausubstanz des ehemaligen Schweizerhofs bewerkstelligen. Anders sieht die Sache zumindest bei einer Aufstockung mit statischen Maßnahmen im jetzigen Kubus aus, bei welcher der Bestandsschutz wegfiele. Hier würde, gibt Ingrid Dolde vom Verein Hölderlin-Nürtingen zu bedenken, infolge der durch die erhöhten Erdbebenstandards unvermeidlichen massiven Stütz- und Strebemaßnahmen die Originalsubstanz massiv beeinträchtigt, ja möglicherweise irreparabel zerstört. Diese Einschätzung wird zumindest durch eine von der Stadt Nürtingen in Auftrag gegebene statische Untersuchung nicht widerlegt.

Erhaltenswerte Bausubstanz

Interessant in diesem Zusammenhang wäre die Klärung der Frage, ob unter dem heutigen Dach noch das originale Gebälk des einstigen Barock-Daches ruht, wie Dolde vermutet. Das Gebäude, in dem von 1774 bis 1798 Hölderlin wohnte, wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert als Schulhaus genutzt und hat dabei bauliche Eingriffe und Erweiterungen erfahren. Ein dendrochronologisches Gutachten, das vom Nürtinger Hölderlinverein vorgeschlagen wurde, könnte hier Klarheit schaffen, doch OB Heirich sperrt sich bislang dagegen.

Dendrochronologische Untersuchungen hat man in Hölderlins Geburtsstadt Lauffen am Neckar schon längst in Auftrag gegeben. Die umfassenden Befunduntersuchungen am dortigen Hölderlinhaus standen, anders als in Nürtingen und wie man es eigentlich auch erwarten würde, am Anfang der weiteren Planungen. Und Lauffens Bürgermeister Klaus-Peter Waldenberger hat auch die Finanzierung der mit etwa 1,7 Millionen Euro zu Buche schlagenden Sanierung des dortigen Hölderlinhauses frühzeitig auf ein solides Fundament gestellt, so dass einer Eröffnung des runderneuerten Dichterhauses samt Ausstellung pünktlich zum großen Jubiläum nichts mehr im Wege steht. Neben Mitteln aus dem Landessanierungsprogramm, die alleine schon 50 Prozent der Aufwendungen abdecken, konnten Zuschüsse aus der Bundesdenkmalförderung gesichert werden. Zusammen mit einem sechsstelligen Beitrag der Denkmalstiftung Baden-Württemberg sowie der großzügigen Förderung des Projekts durch einen örtlichen Mäzen kann die Stadt Lauffen etwa 70 Prozent der Kosten über Zuschüsse bestreiten.

Ausgerechnet in der klammen Hölderlinstadt Nürtingen spielt dieses Thema bei der Sanierung eines kulturhistorischen Kleinods bis heute noch keine größere Rolle - Anträge auf Fördergelder, so ungefähr der Tenor bei den Stadtoberen, könnten ja immer noch gestellt werden. Aus welchen Gründen auch immer scheint man das Pferd von hinten aufzäumen zu wollen. Wenn es so weitergeht, könnte noch ein heißer Ritt bevorstehen.