Das Kunstwerk „Ein‘Mach‘Ende“ der Künstler Valentin Beck und Adrian Rast zeigt Chutneys, Marmeladen und Gelees aus abgelaufenen Lebensmitteln. Fotos: dpa Quelle: Unbekannt

Von Dietrich Heißenbüttel

Fellbach - Essen ist spätestens seit der barocken Stilllebenmalerei Gegenstand der Kunst. Trotzdem besteht zwischen Kunst und Nahrung ein unüberbrückbarer Gegensatz: Lebensmittel haben ein Verfallsdatum, wie Dieter Roths Schokoladekunstwerke zeigen. Kunst ist dagegen, jedenfalls in der klassischen Theorie, für die Ewigkeit geschaffen - und rein praktisch legen Museen und Sammler wenig Wert auf verderbliche Ware. Mit dem Thema des Essens sind zugleich viele Fragen verbunden: Überfluss hier, Armut und Hunger dort, die globale Dominanz multinationaler Agrar- und Nahrungsmittelkonzerne, fairer Handel und gesunde Ernährung, Monokultur versus Artenvielfalt, Pestizide wie Glyphosat contra biologische Anbaumethoden.

Daraus ergeben sich zwei Schwierigkeiten der diesjährigen 13. Fellbacher Kleinplastik-Triennale, die unter dem Titel „Food - Ökologien des Alltags“ steht: Zum einen ist den mehr als 40 Arbeiten, inszeniert als skulpturale Objekte im White Cube eines vom Dachgebälk der Kelterhalle abgehängten großen weißen Zelts, ohne Erklärung nicht immer anzusehen, wie die Künstler zu ihren Formen gefunden haben und was ihnen wichtig ist. Zum anderen fällt es manchmal schon schwer, das Material zu bestimmen. So hat der Belgier Patrick van Caeckenbergh auf schmalen Leisten in einem enger werdenden Korridor hunderte kleine Farbtäfelchen aufgestellt, die zwar an Tönungen menschlicher Haut denken lassen, aber ihr Zustandekommen nicht verraten. Es könnten Fotos sein oder Aquarell-Farbproben. Tatsächlich sind sie aber aus Pornozeitschriften ausgeschnitten, durch Reduktion auf die einfache Farbe von allem Aufreizenden befreit.

Subodh Guptas Mangos auf einer alten Nähmaschine, von denen eine zum Titelmotiv der Ausstellung avanciert ist, bieten einen ausgesprochen sinnlichen Anblick. Leicht erschließen sich Gegensätze wie Natur und Kultur, Norden und Süden. Jede anders, in changierenden Rot-, Gelb- und Grüntönen, mit einer feinen Musterung und braunen Druckstellen - es scheint auf Anhieb klar, dass es sich nur um reale Früchte handeln kann. Und doch sind sie aus Bronze, vom Künstler von Hand bemalt. Die Tomaten, die scheinbar schwerelos in den Aquarien des Japaners Shimabuku schweben, sind dagegen echt und müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Alicja Kwades verdrehte, fast schwarze Bananenschale könnte ebenfalls echt sein, beim Trocknen hart und steif geworden. Aber auch sie ist aus Bronze, wie eine Reihe weiterer Arbeiten, denen man dies nicht ansieht.

Besucher dürfen probieren

Tatsächlich ist das eine der besonderen Qualitäten der von Susanne Gaensheimer, der Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, kuratierten Ausstellung: dass sie die Sinne sehr stark anspricht - und hin und wieder aufs Glatteis führt. Es gibt nicht nur etwas zu sehen, sondern auch - das ist einzigartig - zu schmecken. So sammelt Banu Cennetoglu selbstgebrannte Schnäpse einzelner Länder: aus Rumänien, Korea und nun auch aus kleinen Hausbrennereien in Baden-Württemberg und füllt sie in kleine, beschriftete Fläschchen ab. Der Rest steht auf einem mit Marmorfolie überzogenen Tresen zur Verköstigung bereit. Auch von Huang Po-Chins Limoncello darf sich der Ausstellungsbesucher ein Gläschen genehmigen. Aber für Huang ist das kein Selbstzweck: Der Künstler wirbt um Beteiligung, er verkauft Anteilscheine, die ihm ermöglichen, in seinem Heimatland Taiwan 500 Zitronenbäume zu pflanzen.

Kunst als sozialer Prozess: Das erinnert nicht nur an Joseph Beuys und seine 7000 Eichen, sondern auch an den Thailänder Rirkrit Tiravanija, der wiederholt Ausstellungsräume in Garküchen verwandelt und 1998 nahe der thailändischen Großstadt Chiang Mai ein Stück Land für ökologischen Landbau und künstlerische Experimente erworben hat. Tiravanija darf in der Ausstellung nicht fehlen, wenngleich sein Neonschriftzug „Riot Kitchen“ eher einen Schritt zurück zum konzeptuellen Objekt à la Joseph Kosuth oder Bruce Nauman bedeutet.

Erinnerung an „Food“-Lokal

Am Ausgangspunkt der Ausstellung steht das Restaurant „Food“, das der Konzeptkünstler Gordon Matta-Clark, Sohn des Surrealisten Roberto Matta, 1971 in New York ins Leben rief. Ein Schwarzweißvideo in etwas blassen Bildern, immerhin mit dem Fotografen Robert Frank als Kameramann, ist gleich in die Eingangswand eingelassen. Non-Profit-Ökonomie, Selbstverwaltung, lokale Erzeuger, Recycling, schonender Umgang mit den Ressourcen: in dem Lokal, dessen Gäste selbst bestimmen durften, wie viel sie bezahlen wollten und konnten, sieht Gaensheimer bereits vieles realisiert, was die Kunstwelt bis heute beschäftigt - wie die Ausstellung beweist. Drei Jahre ging alles gut, bevor „Food“ sich allmählich in ein gewöhnliches Restaurant verwandelte.

Matta-Clarks Experiment in Sachen Nachhaltigkeit führt auch auf die zweite Frage der Ausstellung, nach den „Ökologien des Alltags“. Josh Kline interviewt einen Mitarbeiter des Kurierdiensts FedEx zu seinen Arbeitsbedingungen: nicht unter zwölf Stunden am Tag fast ohne Pausen, für einen Lohn, von dem man nicht leben kann. In sechs FedEx-Transportboxen legt er Kaffeebohnen und Snacks aus den Automaten der Pausenräume in Nährlösung, die sie sich während der Laufzeit der Ausstellung zersetzen: ein beeindruckendes Sinnbild für eine zerstörerische, un-ökologische Art des Wirtschaftens. Aus Bronze sind die beeindruckenden Pflanzen, die Abbas Akhavan in „Study for a Monument“ wie auf Leichentüchern auslegt. Sie erinnern an die fast ausgestorbene Fauna der mesopotamischen Sümpfe, der schon Saddam Hussein, um Oppositionelle zu erpressen, und große Staudämme am Oberlauf und in Nachbarländern buchstäblich das Wasser abdrehen.

Valentin Beck und Adrian Rast haben dagegen abgelaufene Lebensmittel aus dem Supermarkt zu Chutneys, Marmeladen und Gelees verarbeitet und in kleinen Gläsern auf schlichten, aus Euro-Paletten gebauten Regalen sehr ästhetisch aufgebaut. Im Tausch gegen ein selbst gewähltes Objekt kann man sie auch mitnehmen.

Die Ausstellung in der Fellbacher Kelterhalle läuft bis 2. Oktober und ist dienstags bis freitags von 14 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr und samstags und sonntags von 11 bis 19 Uhr geöffnet; Führungen finden sonntags um 11 und 15 Uhr statt; der Katalog, 224 Seiten stark, kostet 24 Euro.