Foto: Klaus Mocha

Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Zum angeblich „300-jährigen Jubiläum“ lädt der Stuttgarter Filmwinter von heute bis Sonntag in diverse Locations wie das Kulturareal Unterm Turm, den Club White Noise oder das Haus der Geschichte. Getreu dem diesjährigen Motto „Wir haben die besseren Lügen“ - dazu passt auch das mit Lorbeer-Zweigen à la Cannes umrahmte Logo „Bestes Filmfestival der Welt“ auf dem Einladungsflyer. Denn natürlich wurde der international renommierte Treff der Experimentalfilmer nicht im 18. Jahrhundert, sondern vor 30 Jahren gegründet - aber im postfaktischen Zeitalter kommt es wohl auf eine Null mehr oder weniger nicht an und erscheint es angebracht, „die Lüge zurückzuerobern für die Phantasie, die Kunst und die Träume.“

Das „Festival for Expanded Media“, welches sich immer stärker auch der Medienkunst widmet, zeigt von einer Jury ausgewählte 90 Arbeiten aus etwa 1600 Einsendungen. Fünf Preise in Höhe von insgesamt 9000 Euro werden am letzten Festivaltag vergeben. Schon seit Ende Dezember wurden in der Stadtbibliothek Stuttgart unter dem Titel „Mut zur Lüge“ Videos gezeigt, welche die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen: In Romeo Grünfelders Film „Desire - The Goldstein Reels“ scheint eine Frau zu verschwinden, in „Real Snow White“ von Pilvi Takala wird die Logik von Märchencharakteren wie Schneewittchen thematisiert.

Am Eröffnungstag startet im Fitz am Tagblattturm der Internationale Film-Wettbewerb mit der ersten von acht Staffeln, in denen ganz unterschiedliche Formate präsentiert werden. Zum Beispiel zeigt der belgische Filmemacher Nicolas Provost den Westen Amerikas in einer Slideshow aus Landschaften und Situationen und der Engländer Simon Ellis dokumentiert in „World War Cup“ Patriotismus und Rowdytum beim WM-Fußballspiel England gegen Deutschland 2010. In „Unpredictable Waters“ berichtet Erik Muhammad Pauhrizi vom Nahtoderlebnis eines indonesischen Familienvaters auf Jobsuche in einem See bei Heidelberg.

Ausloten medialer Spannweiten

Bei den Wettbewerben „Medien im Raum“ und „Network Culture“ geht es um grenzüberschreitende Formate zwischen Performance, Installation, Expanded Cinema mit mehreren Leinwänden und Multimediaaktionen, Netzkunst und Interventionen im öffentlichen und virtuellen Raum. Phishing-Websites von Fake-Firmen werden von dem österreichischen Duo KairUs.org in einem fiktiven Konzern „Megacorp.“ gesammelt. Der norwegische Installationskünstler HC Gilje hat mit einer rotierenden Kamera das Meer aufgenommen und löst in seinem Film „Barents (Mare Incognitum)“ beim Betrachter Irritationen aus. In Workshops, Vorträgen und Projektpräsentationen werden die medialen Spannweiten zwischen realer und virtueller Wirklichkeit, Dokumentarischem und Fiktionalem ausgelotet. Kurzfilme für Kinder und Jugendliche, eine „Expanded Media“ Ausstellung und musikalische Live-Acts runden das Programm des Festivals ab.

Am Sonntag steigt die Abschlussgala mit Preisverleihung und Vorführung der Preisträgerrolle mit allen prämierten Filmen im Fitz.

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