Philipp Löhle, geboren 1978 in Ravensburg, ist in Baden-Baden aufgewachsen. Schon während seines Studiums schrieb er erste Theaterstücke, arbeitete journalistisch und filmisch. Foto: Fernando Perez Re Quelle: Unbekannt

Von Julia Marre

Stuttgart - An Nachrichten hat Philipp Löhle Spaß. Großen Spaß sogar. Als der Dramatiker liest, dass Beamte des Bundeswirtschaftsministeriums in mexikanische Waffendeals involviert sind, schüttelt er ungläubig den Kopf. „Das kann doch in der Welt nicht so absurd zugehen“, denkt Löhle und unterhält sich mit dem Regisseur Dominic Friedel über den schwäbischen Waffenhersteller Heckler & Koch und dessen Verwicklungen. „Darüber müsste man mal was machen“, sagt Friedel. Und Löhle, der Spezialist für Wirtschaftsthemen unter den deutschen Dramatikern, beginnt für sein Stück „Feuerschlange“ zu recherchieren. Er fährt nach Oberndorf am Neckar, schaut sich den Rüstungsbetrieb von außen und das Waffenmuseum von innen an. An diesem Samstag wird sein Auftragswerk für das Schauspiel Stuttgart uraufgeführt. Worum es geht? „Es gibt darin nicht die eine Story oder den einen Plot, stattdessen wollte ich ein Thema in unterschiedlichen Episoden umkreisen“, sagt der Autor. Das Thema ist der Rüstungsexport. Denn eines der weltweit meistverkauften Sturmgewehre - hergestellt in einer schwäbischen Kleinstadt - ist auf etlichen Fotos abgebildet, auf denen mexikanische Drogenkiller oder syrische IS-Kämpfer posieren. Wie kann es trotz strikter Auflagen für Rüstungsexporte dazu kommen?

Kratzen an der Fassade

Den Weg des Gewehrs zeichnet Löhle in seinem Text nach: „Es sind zum Teil historisch belegte Szenen, die ich in verschiedenen Stilen und Formen aufbereitet habe. Ein Waffendeal ist beispielsweise eine Film-Noir-Episode.“ Mit dem Stück kratzt Löhle an der Fassade einer umstrittenen Industrie. Für ihn sei „Feuerschlange“ der Versuch, „dieses ganze kompliziert-korrupte Verhalten in Deutschland zu beschreiben“. Den Waffenhersteller in seinem Stück tauft Löhle „Lecker und Loch“. Warum die dezente Verfremdung? Wozu die Fiktionalisierung? „Ich tue mich immer schwer damit, all das total zu verteufeln“, sagt Löhle - und meint damit die Waffenexporte. Das Totschlagargument sei ja immer: Die Waffe selbst ist gar nicht gefährlich, sondern sie wird es erst durch den, der sie bedient. „Macht sich also der, der sie herstellt, mitschuldig?“, fragt er. „Und ist jeder, der für solch ein Unternehmen arbeitet, zu verurteilen? So einfach ist das nicht. Würde ich das behaupten, wäre ich ja der Gute und wüsste, wie es geht. Das ist aber gar nicht der Fall.“ Also nähert sich Löhle dem heiklen Thema aus ganz unterschiedlichen Perspektiven: Da ist der Papa von Amanda, der in der Schule von seinem außergewöhnlichen Job als Rohr-Richter in der Waffenproduktion arbeitet. Da ist Kaiser Wilhelm II., der Besuch vom schwäbischen Büchsenentwickler Paul Mauser bekommt. Da ist Rashid, der in der königlichen Infanterie die Ölquellen verteidigen soll und gar nicht will. Da ist die Bundespräsidentin in der nahen Zukunft, die so gern mal Klartext reden würde. Wie wichtig ist dem Autor eigentlich die Realität als Ausgangspunkt für seine Stücke? „Sehr wichtig“, betont Löhle. Er ist ein scharfsinniger Beobachter, der viele seiner Dramen mit Kapitalismuskritik spickt. „Natürlich ist es in meinen Stücken überspitzt, damit es auch komisch ist. Aber ich habe viel weniger erfunden, als man denkt. Mir ist wichtig, dass man die Absurditäten erkennt“, sagt Löhle.

Andere Pläne gehabt

Seit Jahren ist Philipp Löhle ein Dauergast in der Chronik deutscher Gegenwartsdramatik: Neun seiner Stücke sind allein seit 2012 an deutschsprachigen Schauspielhäusern uraufgeführt worden. Viele andere werden nach ihrer Uraufführung landauf, landab gerne neu inszeniert. Dabei hatte der 1978 in Ravensburg geborene Autor eigentlich andere Pläne. Sein Berufswunsch als Kind: Filmemacher. Doch Löhle studierte in Erlangen und Rom Geschichte, Theater- und Medienwissenschaft und deutsche Literatur. Kurzgeschichten hat er schon viele verfasst.

Als er für ein Universitäts-Projekt begann, Dialoge zu schreiben, „da hat schon irgendetwas gezündet“. Dennoch gelangte er auf der Suche nach einem ernsthaften Job zunächst zum Privatfernsehen („Ich habe schlimm an der Volksverdummung mitgearbeitet“). Zum Theater kam er erst als Regieassistent, dann als Autor, der „in diese Jungautoren-Entdeckungsmaschine geraten ist“, wie er resümiert. Dank seiner Preise beim Berliner Theatertreffen, dem Heidelberger Stückemarkt und den Mülheimer Theatertagen erhielt Löhle Werkaufträge und Engagements.

Auf der Studiobühne Nord am Löwentor erzählen 14 Stuttgarter Kinder und fünf Ensemblemitglieder des Schauspiels Stuttgart die tragikomische Geschichte der „Feuerschlange“ - jenes indianischen Mythos’ der Wunderwaffe. Die Uraufführung am Samstag ist bereits ausverkauft, weitere Termine: 30. Oktober sowie 3., 13. und 28. November (20 Uhr).