Von Verena Großkreutz

Ludwigsburg -Der Mann mit dem hellen Hut und dem weißen Vollbart kommt auf die Bühne und geht gleich wieder. Er hatte bloß die Weinflasche vergessen, die dann während des Konzerts in der Ludwigsburger Musikhalle sein Glas immer mal füllen wird. Das muss natürlich sein bei Roland Neuwirth, dem Urgestein der Wiener-Musikszene. Schließlich lechzen in seinen Songs selbst die Marsmännchen nach einem edlen Tropfen.

Seit 40 Jahren ist Neuwirth unterwegs bei seiner Mission für das Wiener Lied. Er hat es erneuert, mit Blue-Notes, einer sehr avancierten Harmonik und allerlei Geräuschhaftem gekreuzt. Und vor allem witzige, kritische oder auch mal sentimentale Lyrik dafür verfasst. Begleitet wird er schon seit langem von seiner vierköpfigen Band Extremschrammeln: zwei Geigen, die mal schluchzen, mal ruppig-grimmig aufmaunzen (Manfred Kammerhofer und Bernie Mallinger), ein seufzendes und quecksilbrig säuselndes Knopfakkordeon (Marko Zivadinovic), eine herzhaft aufsingende Duettpartnerin (Doris Windhager) - Neuwirth selbst zupft eine doppelhalsige Schrammel-Kontragitarre.

Ein paar Songs des Liedermachers spielen dann auch mit dem typischen Sound alpenländischer Volksmusik, mit ihren schmachtenden Melodien, ihrem neckig gezupften Tanz-Rhythmen. Sie brechen sich dann natürlich an der ironischen Poesie. Im „Uhudler-Dudler“ etwa. Darin träumt der Liedermacher, er treffe auf der Wiener „Zeillergassn“ auf ein UFO, aus dem ein „grünes Manderl“ klettere, das ihm zuruft: „Heast Freind, i wirr da scho zwa Lichtjoahr ummanaund. / In unsera Galaxis, da föhlt uns hoid die Praxis, / Da wochst ka guades Tröpferl weit und breit.“ Der Gourmet-Marsmensch bittet den Poeten also, mit ihm durch Wiener Weinlokale zu ziehen.

Neuwirths Programm ist vielseitig. An diesem Abend kann der 65-Jährige, der sich demnächst zur Ruhe setzen will, aus dem Vollen schöpfen: aus einem Fundus von 300 Liedern . Seine charismatische, vom Wiener Schmäh durchwirkte Stimme passt auch trefflich zu seinen Bluesstücken: „Es muss was Wunderbares sein, von mir geliebt zu werden“, singt der alte Narzisst. Und: „Ich beglücke alle Frauen ohne Hilfsmittel und so“ - ein Lied, das durch quirlig rankende Akkordeonarabesken veredelt wird.

Entspannte Hängemattenlieder wie „I bin im Gartn“ und Misanthropisches wie „Mir san die Gelsn liawa wia die Leut“ (Mir sind die Mücken lieber als die Menschen) wechseln sich ab mit Liebesballaden wie „Mei Fixstern, an dem i mi hoit“ und Schwerstmelancholischem wie dem feinen Lied über das Sterben: „Afoch ganga, afoch weg“ trifft sehr direkt ins Herz, genauso wie „Bis der Kanari von sein Sprissl fällt“. Und auch wenn man kein Wort versteht: In „Manisch-depressiv“ weiß man, worum es geht im dissonant-schrägen, aufgewühlten Teil, in dem sich der Wiener Barde unter Hochdruck die Seele aus dem Leib singt, und in den dazwischengeschalteten lethargischen, erdschweren Melodien, die Doris Windhager übernimmt. Ein bisschen steckt immer auch das Winterreisen-Einsamkeitsuniversum eines Schubert in den Chansons Neuwirths, obwohl am Ende die „Mondnacht“ von Schumann verwienert wird.

Der Wiener habe immer den Tod vor Augen, damit er das Leben mehr genießen kann, sagt Neuwirth, den man immer dann gut versteht, wenn er launig über das Wiener Wesen parliert: „Der Wiener ist zu fettleibig zum Tanzen. Er tanzt eher innerlich.“ Und der „Tanz in D“, den Prim-Geiger Manfred Kammerhofer geschrieben hat, wechselt dann auch so unregelmäßig die Tempi, dass man schon „sehr betrunken sein muss“, wollte man dazu tanzen.