Von Ingo Weiß

Stuttgart - Neben den Ramones sind Bad Religion die wichtigste US-Punkrock-Band. Seit 36 Jahren prägt die Truppe aus Los Angeles maßgeblich die Szene. Markenzeichen sind bissige, sozialkritische, teils fast lyrische Texte, mit denen sie den ewigen Aufstand gegen die Welt proklamieren. Musikalische Verschleißerscheinungen lassen sich bei der zum Quintett gewachsenen Gruppe trotzdem nicht festzustellen. Mittlerweile gesetzteren Alters, spielen die Herren ihren Punkrock noch immer schnell, hart, heftig - und zuweilen durchaus melodisch. Ihre Spielfreude ist ungebrochen: Punk’s not dead - Punk ist nicht tot, sondern ihre Lebenseinstellung. Sänger Greg Graffin, Jay Bentley am Bass, Gitarrist Brett Gurewitz & Co. sind und waren nicht unterzukriegen.

Ohne Soli auf den Punk(t)

Bei ihrem furiosen Konzert im ausverkauften Stuttgarter LKA Longhorn reüssieren Bad Religion dank einer energetischen und publikumsnahen, stets souveränen Show. In 90 Minuten brettern sie durch 32 Songs - gewissermaßen ein Musterbeispiel an Effizienz und Effektivität. Die kurzen, präzisen Ausbrüche von Melodien und Gedanken überspringen nie die Drei-Minuten-Hürde, sind rasant und weitgehend ohne Soli auf den Punk(t) gespielt: ein physisches Erlebnis, eine schweißtreibende Angelegenheit, die die Fans hüpfen, die Fäuste recken, grölen und mit Bierbechern schmeißen lässt. Die aufgestaute Hitze muss ja irgendwie verteilt werden.

Die Band ist der Ventilator dazu. Mit ordentlich Drive werden die Hits nach dem theatralischen Intro „Jesus Christ Superstar“ ins Publikum geschleudert. Der Fokus liegt auf alten Klassikern wie „21st Century“, „Modern man“, „New America“ und „Come Join us“. Auch alte Gassenhauer wie „Sinister Rouge“, „Generator“ oder „Sorrow“ kommen nicht zu kurz. Ein echter Oldschool-Abend für die begeisterten Fans, die mittlerweile ein Abbild der Gesellschaft sind. Hier feiern Jung und Alt einträchtig nebeneinander, Hardcores neben Normalos.

Nur vermeintlich spielen Bad Religion stets denselben Song in unterschiedlichen Varianten. Auch wenn es beim dumpfen Soundgemisch schwerfällt: Wer genauer auf die Finessen abseits der Drei-Akkord-Folgen achtet, hört mehrstimmige Refrains sowie vereinzelte abrupte Rhythmuswechsel. Bei „Los Angeles is burning“ von 2004 klingen Bad Religion beispielsweise wie Green Day. Manchmal erinnern ihre für den Punk fast schon artfremden melodiösen Ansätze an The Clash, bisweilen sogar an The Pogues. Im LKA sind es genau diese Preziosen, die die temporeiche Eintönigkeit durchbrechen. Die Band altert damit in Würde, klingt erwachsener und ihre Gesellschaftskritik geordneter.

Bei allem Karacho, den die Band um ihn herum inszeniert, bleibt Greg Graffin der Fels in der Brandung. Sein Gesang ist gekennzeichnet durch exakte Aussprache und Metrik, er selbst entspricht so gar nicht dem Punk-Klischee - mit seinem lichten Haar, der dunklen Hornbrille und dem schwarzen Polohemd. Er hat viel zu sagen, einen Doktor in Evolutionsbiologie, lehrt an der University of California, und seine Texte sind vertonte Polit-Slogans. Ihm geht es um die Achtung vor dem Leben und das Bewusstmachen der eigenen Existenz.

Symbiose von Spaß und Ernst

Auch wenn Graffin seinen markanten Erklär-Finger immer weniger zeigt und wie der Rest der Band auf eine Bühnenshow verzichtet, ist das Konzert nah dran am Publikum, grundehrlich und von Herzen kommend. Bad Religion sind die perfekte Symbiose zwischen Spaß und Ernsthaftigkeit.

Nassgeschwitzt, aber glücklich gehen die Fans nach drei Zugaben nach Hause. Mit der Gewissheit: Punk’s not dead!