Konzertbilder von King Crimson gibt es keine - die Band erteilte ein Fotografierverbot. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Von Harry Schmidt

Stuttgart - Ungewöhnlich ist noch untertrieben, um den Auftritt der britischen Prog-Rock-Formation King Crimson am Donnerstagabend in Stuttgart zu beschreiben - sowohl hinsichtlich des hinterlassenen Eindrucks als auch bezüglich des Stellenwerts im Konzertkalender. Denn das hat Seltenheitswert: Zwei Konzerte in Deutschland, eines davon findet in Stuttgart statt. Dass es Hans-Peter Haag mit seiner Agentur Musiccircus gelungen ist, der Landeshauptstadt den neben Berlin einzigen Termin im Bundesgebiet zu verschaffen, muss als äußerst verdienstvoll gelten, gehört die 1969 gegründete Band doch zu den wenigen hochkarätigen Ikonen der Rockmusik und war zuletzt vor 13 Jahren auf deutschen Bühnen zu erleben. Dass die Tickets für die inklusive Pause knapp dreistündige Show (ebenso wie für das angesichts der regen Nachfrage anberaumte Zusatzkonzert tags darauf) rasch ausverkauft waren, verwundert somit kaum.

Mastermind im Hintergrund

Die Vorzeichen deuteten also nachdrücklich auf ein Highlight hin, als die sieben Musiker ihre Plätze einnahmen, nachdem eine Durchsage nochmals auf das (auch die Pressefotografen einschließende) Fotografierverbot aufmerksam gemacht hatte. Dabei war das Bild durchaus erstaunlich: Gleich mit drei Schlagzeugern war die Prog-Legende um den Gitarristen und Komponisten Robert Fripp, das einzige feste Mitglied von King Crimson, angereist, deren Drumsets nun in Umkehrung der üblichen Anordnung vor dem Rest der Band stehen. Dahinter im Zentrum neben dem seit 2013 als Sänger und Gitarrist verpflichteten Jakko Jakszyk Bassist Tony Levin, dem eine meist so diskrete wie tragende Rolle in den oft episch angelegten Stücken zukommt. Ganz außen rechts, agiert der Leader, ohne erkennbar ins Geschehen einzugreifen. Umso machtvoller die Präsenz seines Signatursounds: Statt breitbeinig seine Stromgitarrensammlung zu präsentieren, bevorzugt der 70-Jährige, sich als exzentrischer Mastermind im Hintergrund zu inszenieren. Fast selbstvergessen wirkt er, wie er seine Gitarrentöne mithilfe eines Regals voller elektronischer Effektgeräte manipuliert, bis sie diese rätselhafte, sirenenartig singende Präsenz erreichen, die unter dem Stichwort „Frippertronics“ zum Markenzeichen des innovativen Visionärs geworden ist, unter einem Kopfhörer begraben wie Mel Collins (Saxofone und Querflöte) auf der gegenüberliegenden Seite, der virtuos die für den King-Crimson-Sound so wichtigen Bläserstimmen übernimmt.

Ein relatives Novum auch, dass die kryptischste aller Prog-Bands erstmals live einen Querschnitt durch unterschiedliche Werkphasen vorstellt, der auch Klassiker ihres ersten Albums wie „Epitaph“ nicht ausspart. Im hervorragend ausgesteuerten Klangbild erstrahlten diese komplexen Blüten der Rockmusik, in orchestraler Fülle entfalteten sich wechselvolle Kontraste und psychedelische Momente. Eine Wucht die Frontline der Drummer: Links besetzt Pat Mastelotto (Mr. Mister) mit reichlich Kleinpercussions die Weltmusik-Ecke, mittig dominiert Jeremy Stacey mit vorwiegend jazzrockigem Spiel, während Gavin Harrison (Porcupine Tree) die härtere Rock-Gangart repräsentiert. Spektakulär die Arrangements für diese Rhythmusgruppe: Mal läuft ein Pattern unisono, dann wieder in verteilten Stimmen durch die Reihe - es entsteht eine betörend sinnliche Räumlichkeit. Keine Rockstargesten trüben die eigentümliche, majestätische Leichtigkeit, mit der King Crimson ihre Lasten verteilen, statisch wie das gelb-blaue Bühnenlicht, das erst bei „Starless“, dem letzten Song des grandiosen Konzerts, plötzlich zu leuchtendem Rot wechselt. Sensationell die Zugabe: So nah am Original wird man David Bowies „Heroes“ kaum mehr hören, war doch Fripps markante Gitarre einer der Schlüsselreize des Welthits. Dass „21st Century Schizoid Man“ den Auftritt beschließt, war dann so gut wie die einzige Konzession an die konventionelle Rockkonzert-Dramaturgie, den diese kuriose Krönung der Konzertsaison zuließ. Ein famoses Erlebnis.