Mal ein bisschen Nina Hagen sein: Kristin Göpfert als Fräulein Sabine mit Florian Stamm als Kellner Bruno. Foto: Bernd Eidenmüller Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Natürlich hat so ein Fahrradhändler etwas Mephistophelisches, wenn der örtliche Einzelhandel jede Einschränkung des innenstädtischen Autoverkehrs fürchtet wie den leibhaftigen Gottseibeiuns. Aber in den bereits ausgewiesenen Fußgängerzonen herrscht Ödnis, und im Café lässt nebst einem weitgehend stummen Herrn vom Theater nur der Seniorenclub Silberlocke den einen oder anderen Cappuccino-Groschen liegen. Da hat Bike-Mike, der Treppel-Mephisto im Mittelalter-Wams, eine verteufelt gute Idee: Den Mittelalter-Weihnachtsmarkt, die einzige erfolgreiche Touristencash-Attraktion in der Kleinstadt, lässt man einfach das ganz Jahr über stattfinden, und damit der „Kunden- und sonstige Verkehr“ erst recht in die entschleunigten Gänge kommt, werden als einzige Verkehrsmittel Kutschen, Eselskarren und „Fahrräder aus dem zwölften Jahrhundert“ zugelassen. Der Kulturbürgermeister mit seinem Barbarossa-Tick ist gleich dabei. Kommt davon, wenn der Oberbürgermeister auf Indien-Reise weilt.

Zufällige Ähnlichkeiten? Von wegen. Lothar Bobbe, regelmäßiger Gastschauspieler an der Esslinger Landesbühne (WLB), macht einem mit seinem „kleinstädtischen Puppical“ namens „Also sprach Barbarossa“ schön die Zunge lang - als dürfe sie anderthalb Stunden lang eine scharfe Esslinger Lokalsatire auf sich zergehen lassen. Und Regisseur Marcel Keller lässt die Uraufführung im Podium des Esslinger Schauspielhauses sinnigerweise mit Richard Strauss’ sangesfroh nachgeahmter „Also sprach Zarathustra“-Fanfare anheben.

Doch was dann also gesprochen wird, legt nur ein zuckriges Lutschbonbon auf die Zungenspitze, nach dem Motto: Reimwitz komm’ raus, du bist umzingelt. Freilich ist das alles köstlichköstlichköstlich und komischkomischkomisch, aber halt nicht richtig lustig. Dazu ist das Stücklein viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt: Es stopft Löcher durch aufgekratzte Albernheiten und ziellosen Klamauk der betulichen Sorte. Es steckt kein (Zünd-)Schlüssel im Loch, es öffnet kein kommunales Schlüsselstück die Tür zur be- und anzüglichen Lokalposse. Auch wenn Keller als sein eigener Bühnenbildner ein Alt-Esslingen im Stil eines vergrößerten Schreiber’schen Papiertheaters (inklusive real existierendem Theatercafé) beschwört.

Kellers Muppet-Show mit ebenfalls selbst entworfenen, die Darsteller doubelnden Handpuppen - deren Breitmaulfrosch-Mundklappen durchaus witzig anzusehen sind - gleicht Erwachsenen, die einen Kindergeburtstag nachspielen. Die peinsam imitierte Naivität verdirbt den Charme des Improvisierten und verordnet sich obendrein einen Handlungskrampf, an dem sich das Stück entlang hangelt. Zeitschindend macht sich die Liebesgeschichte zwischen Kellner Bruno (Florian Stamm) und Fräulein Sabine (Kristin Göpfert) von der Wäschereinigung „Sauberland“ breit. Im Übrigen zieht es das saubere Fräulein zum Theater, und wenn es schon einen Bike-Mike-Mephisto (Benjamin Janssen) gibt, deklamiert sie das Gretchen, während als Faust-Ersatz der Barbarossa-Kulturbürgermeister (travestiert von Stephanie Biesolt) sozusagen an seines Kaisers Statt mit dem Recht der ersten Nacht das Fräulein zur Frau machen möchte. Ferner setzt es eine bis zur elektrischen Heckenschere eskalierende Keilerei zwischen Bike-Mike und Bruno, welch letzterer sich im weiteren Verlauf als Sohn seines Chefs entpuppt, des Café-Inhabers und daimlerfahrenden Fußgängerzonen-Rambos Fangarm (Frank Ehrhardt).

Damit also müht man sich ulknudelnd über die Runden - und Marcel Keller hätte einige nette Regiegags parat, hingen sie nicht im witzleeren Raum: zum Beispiel einen Hemden-mit-Unterhose-Gesangverein im „Sauberland“. Apropos: Patrick Bopps schwungvolle Musik hat unbestritten ihre Qualitäten. Sie pointiert etwa das singende Stadträte-Puppentrio (dem drei sang- und klanglos nörgelnde Theaterpuppenherren gegenüberstehen), als wären’s die Communal Harmonists (Refrain: „Doch am allerschwersten hat / Es der Rat der Stadt“). Und sie legt Kristin Göpfert Seeräuberjenny-Töne in die treffliche Kehle, auch wenn sie nur mal ein bisschen wie Marlene Dietrich oder Nina Hagen klingen will.

Lothar Bobbe selbst ist unterdessen dauerpräsent als Zeitung lesender Café-Schweiger. Am Ende lässt er seinen Kulturbürgermeister erkennen: „Das Leben ist anderswo.“ Stimmt.

Nächste Vorstellungen: 20. und 27. April, 6., 23. und 27. Mai, 25. Juni.