Von Thomas Krazeisen

Esslingen - Zurück in die Ära des deutschen Wirtschaftswunders blickt die jüngste Produktion der Esslinger Landesbühne (WLB): Heute Abend hat im Esslinger Schauspielhaus „Seelenwanderung“ Premiere (Beginn: 19.30 Uhr). Im Mittelpunkt von Karl Wittlingers Stück stehen zwei arme Schlucker. Axel und Bum heißen die Freunde, die sich über ihre erbarmungswürdige Lebenslage unterhalten und auf eine kuriose Idee kommen, um zu Kapital zu gelangen: Der eine schlägt dem anderen vor, er solle doch einfach seine Seele in einen Schuhkarton denken. Dieser würde dann im Pfandhaus für fünf Mark versetzt werden. Gesagt, getan - und aus dem überschaubaren Startkapital macht Bum, wie der nun „seelenlose“ Kapitalist heißt, ein sattes Vermögen. Eine lukrative Bilderbuchkarriere inklusive weniger schöner Begleiterscheinungen: Während es wirtschaftlich steil bergauf geht, erleidet der Unternehmer gesundheitlich einen Absturz. Dem Warnschuss in Gestalt eines Herzinfarkts folgt auf dem Höhepunkt des Erfolgs das endgültige Aus für den Geschäftsmann Bum. Nach seinem Tod erscheint er noch einmal seinem alten Freund Axel, der ihm bei der Wiederbeschaffung seiner Seele behilflich sein soll.

Die kuriose „Seelenwanderung“ und ihr Autor führen nicht nur in die bundesrepublikanische Frühzeit zurück, sondern auch in die erfolgreiche Vergangenheit der Esslinger Landesbühne. Lange ist‘s freilich her, dass Stücke des 1922 in Karlsruhe geborenen und 1994 bei Überlingen gestorbenen Dramatikers und Fernsehautors an der WLB gezeigt wurden: In der Spielzeit 1996/97 - die Intendantin hieß damals Heidemarie Rohweder - wurde Wittlingers Volksstück „De Hotzeblitz“ in einer schwäbischen Version von Manfred F. Vogel aufgeführt. Und noch einmal fast vier Dekaden zuvor war es der Autor selbst, der die Komödie „Kennen Sie die Milchstraße?“, einen seiner größten Bühnenerfolge, in Esslingen inszeniert hatte.

Seine „Seelenwanderung“ von 1962 war zunächst als Fernsehfilm höchst erfolgreich - das TV-Spiel wurde mit dem Prix Italia und dem Internationalen Preis von Monte Carlo ausgezeichnet. Im Jahr darauf wurde dann die Theateradaption in Frankfurt uraufgeführt.

Bei der aktuellen Esslinger Produktion hat Klaus Hemmerle die Inszenierung übernommen; vom Regisseur waren an der WLB in den vergangenen beiden Spielzeiten unter anderem die Freilichtproduktionen „Der Postmichel“ sowie „Hamlet - Prinz von Württemberg“ zu sehen. Für Hemmerle ist die „Seelenwanderung“ einerseits eine Zeitreise in die deutsche Nachkriegsära, auf der anderen Seite ein hoch aktuelles Theaterstück über grundlegende menschliche Fragen. Was macht es mit den Menschen, wenn sie ihre Seele preisgeben, wenn ihr Verantwortungsgefühl im blinden Streben nach Erfolg und Selbstoptimierung taub wird? Der Regisseur will bei der Suche nach Antworten ohne erhobenen Zeigefinger Menschen, die ihre Skrupel aufgeben, in ihrer ganzen Not, Tragik und auch Komik zeigen - aber nicht vorführen: „Mich interessiert die elementare Kraft dieser Geschichte“. Hemmerle will sie bühnenästhetisch in jenen „Wunderjahren“ ansiedeln, in denen sich der Glaube an ewiges Wachstum zu verfestigen begann.

Die Premiere beginnt heute Abend um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus.