Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Nikolai Tokarev hat sichtlich Spaß daran, zu zeigen, dass er virtuos auf den Putz hauen kann: Aram Khachaturians berühmter wilder „Säbeltanz“ in einer Klavierversion als Zugabe, in wahnsinnigem Tempo hingebrettert: Das gefällt dem Publikum, das sich von solch zirzensischen Klangwolken gerne in Bann ziehen lässt. Der Pianist, der als Wunderkind begann, und heute, 33-jährig, zur internationalen Klavier-Elite gehört, macht durchaus eine Gratwanderung: Er beherrscht dieses typische Virtuosengehabe, aber er kann auch sensibel und lyrisch spielen, wenn es gefordert ist.

In Peter Tschaikowskys erstem Klavierkonzert, das Tokarev jetzt im Russ-Meisterkonzert im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle mit der Russischen Nationalphilharmonie gab, hatte er aber, zumindest was den ersten Satz betrifft, nur in der Solokadenz die Möglichkeit, mal sanftere Töne anzuschlagen. Im Rest des Satzes verloren sich viele seiner pianistischen Anstrengungen unter der Klangmasse des Orchesters. Vom „Kampf zweier ebenbürtiger Kräfte“ hatte Tschaikowsky einmal in Hinblick auf seine Solokonzerte gesprochen. Was den Kampf zwischen der Russischen Nationalphilharmonie und Tokarev anging, verlor der Pianist den Kopfsatz. Vladimir Spivakov, eher ein Dirigent fürs Grobe, liebt vor allem die Streicher, die meistens zu dick auftragen. Er differenziert dynamisch wenig, die Arbeit am Detail scheint ihn nicht besonders zu liegen.

Der Ton bleibt flach

Tokarev hingegen besitzt eine ungeheure Fingerfertigkeit, virtuose Brillanz, behält alles auch in rasenden Tempi im Griff. Aber dabei bleibt es dann meist auch. Da wo die Zirzensik aufhört, wie im melancholischen Mittelsatz, bleibt der Ton oft flach, weil die plastische, intensive, emotionale Ausdeutung schwächelt. Die Musik spricht dann nicht deutlich genug. Im Finale dann setzt sich der Russe, der derzeit einen gelockten Pferdeschwanz trägt, klanglich gut gegen das Orchester durch. Wenn es richtig laut werden soll, dann hebt er ab vom Klavierhocker, dann holt er sich die Power aus den Hüften. Und das ergibt dann ein dröhnendes Fortissimo.

Vladimir Spivakov scheint sein Orchester durch die romantischen Klangmassen zu schieben. Auch was Sergei Rachmaninows Sinfonische Tänze angeht. Spannungsaufbau, strukturelle Präzision, differenzierte Farben und plastische Phrasierungen interessieren Spivakov offenbar nur wenig.

Besonders deutlich wird das in der ersten Orchester-Zugabe, Jean Sibelius’ „Valse triste“: Erstmals an diesem Abend hört man das Orchester wirklich zurückhaltend spielen. Aber es wirkt erzwungen, was der Dirigent da plötzlich an minutiöser Gestaltung einfordert, Weder Sibelius’ schwer melancholische Melodik noch die plötzlich ausbrechende euphorische Tanzwut will sich frei entfalten.