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„Einige brauchen etwas länger, andere finden schneller ihre eigene künstlerische Handschrift.“ Sandkastenspiele will die Theaterpraktikerin ihren Studierenden an der Akademie nicht bieten.

Von Elisabeth Maier

Ludwigsburg - In einer überdimensionalen Kirschtorte suchen drei junge Menschen Zuflucht. Boxsäcke schweben wie Wolken im Bühnenraum. Gewalt dominiert alles. In dieser surrealen Szenerie siedelt der junge Regisseur Faraz Baghaei seine Stückentwicklung „Faustgroß“ an. Stark fasst der junge Regisseur, der in Teheran geboren ist, in seiner Bachelorarbeit an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg die Ängste seiner Generation in packende Theater-Bilder. „Ich bewohne ein langes Schweigen, ich bewohne ein plötzliches Erwachen“ - auch in Baghaeis klarer, eindringlicher Sprache spiegelt sich die Unsicherheit junger Menschen, die ihre Halt in der krisengeschüttelten Welt verloren haben. Politisch ist das Theater des jungen, international vernetzten Künstlers, weil er mit drei jungen Schauspielern um ein Miteinander in einer zerfallenden Welt ringt. „Mir ist es wichtig, dass die Studierenden Haltung zeigen“, sagt Akademieleiterin Elisabeth Schweeger (kleines Bild).

Kunst um der Kunst willen ist ihre Sache nicht. In Zeiten der Krisen und der Kriege ist eine klare Position für sie die wichtigste Triebfeder künstlerischen Schaffens. Die Kulturmanagerin und ehemalige Intendantin des Schauspiels Frankfurt leitet die Akademie des Landes Baden-Württemberg, die junge Regisseure, Schauspieler und Dramaturgen unter einem Dach ausbildet. Im technisch bestens ausgestatteten Bühnenturm von Martin Zehetgruber auf dem Ludwigsburger Campus entstehen Projekte, die bei Theaterfestivals in ganz Deutschland aufhorchen lassen.

Beim Körber Studio für junge Regie gehören Studierende aus der schwäbischen Kleinstadt Ludwigsburg regelmäßig zu den Preisträgern. 2016 gewann Regieabsolventin Anna-Elisabeth Frick den begehrten Preis für junge Regie am Thalia-Theater Hamburg. Ihr Projekt „Parasiten“ ist jetzt am Staatstheater Stuttgart zu sehen. Regiestudent Wilke Weermann hat mit seinem Stück „Abraum“ den Förderpreis der Münchner Kammerspiele gewonnen. Dort hat Lasse Kraus von der Otto-Falckenberg-Schule den Text jetzt uraufgeführt.

Solche Erfolge machen Schweeger stolz. Der künstlerischen Leiterin der Theaterakademie ist es wichtig, „dass die Studierenden einen Raum haben, in dem sie ihre Talente entwickeln können“. In diesem Labor darf auch mal ein Konzept nicht so ganz aufgehen. „Einige brauchen etwas länger, andere finden schneller ihre eigene künstlerische Handschrift.“ Diesen Raum gibt die innovative Akademieleiterin den jungen Menschen, entdeckt gemeinsam mit ihnen Stärken und Schwächen. Schweegers Temperament und die Lust, Neues zu wagen, stecken an.

Die promovierte Literaturwissenschaftlerin, die Chefdramaturgin am Residenztheater München war, fordert die jungen Künstler heraus. Dabei wird die Netzwerkerin von einem Team erfahrener Theatermacher unterstützt, die am Haus unterrichten. Dass sich an Bühnen manchmal unerwartete Wege auftun, zeigt das Beispiel des Schauspielabsolventen Stefan Hornbach. Aus seinem ironischem Blickwinkel wagt sich der junge Autor an das Tabuthema Krebs, spielt in einem surrealen Raum mit Haltungen und Erwartungen von Betroffenen und Angehörigen.

Das preisgekrönte Stück war bei den Autorentheatertagen in Berlin und beim Heidelberger Stückemarkt zu erleben, wird im Mai am Schauspielhaus Bochum nachgespielt. Obwohl Hornbach am Theater Heidelberg als leicht verwirrte Lehrerin Prüsseliese in der Weihnachtsproduktion „Pippi Langstrumpf“ als Schauspieler auf der Bühne stand, zieht es ihn jetzt eher zum Schreiben. Diese Möglichkeit habe ihm die Akademie in Ludwigsburg eröffnet, blickt der Künstler und Träger des Schiller-Förderpreises auf sein Studium zurück.

Sandkastenspiele will die Theaterpraktikerin ihren Studierenden an der Akademie nicht bieten. Der frühe Kontakt zur Praxis ist Schweeger wichtig. Denn die Theaterszene ist umkämpft und hat harte Gesetze, auf die sie den Nachwuchs vorbereiten will. Einige angehende Schauspieler aus Ludwigsburg überzeugen zurzeit in Thomas Schmausers „Fatzer“-Inszenierung am Stuttgarter Staatstheater. Lustvoll lassen sich die jungen Schauspieler auf den Spagat zwischen Sprache und Choreografie ein, den der Regisseur mit dem Brecht-Text in Heiner Müllers komplexer Bühnenfassung wagt.

Das „Furore“-Festival, ein Treffen junger Regie- und Schauspielstudierender aus Europa, hat Schweeger an der Akademie ermöglicht. Da zeigten Künstler europäischer Theaterakademien herausragende Arbeiten, die eine Jury ausgewählt hat. Obwohl Schweeger das Organisationsteam selbst schalten und walten ließ, mischte sich die viel beschäftigte Professorin jeden Abend unters Publikum, tauschte sich mit den Künstlern aus. Von der Öffentlichkeitsarbeit über die Anträge für Fördergelder machte das Team alles selbst. Mit einer Vortragsreihe, die Wissenschaftler, Kulturmanager und Theatergrößen bestreiten, locken Schweeger und ihr Team viel Publikum aus Ludwigsburg und der Region in die weltoffene Akademie. Gesellschaftliche Diskurse anzustoßen, ist der Leiterin wichtig. Die will sie auch ihren Studierenden nahe bringen. Auf den drei Bühnen der AdK bietet sich die Chance, erste Arbeiten des Theaternachwuchses hautnah zu erleben. Beim Projekt „Zwischen den Kriegen“ bewiesen Studierende des dritten Jahrs nicht nur die manchmal überbordende Experimentierfreude ihrer Generation. Der hoch aktuelle Blick auf Texte von Ernst Toller bis Bertolt Brecht beweist, wie kritisch sich die jungen Künstler mit ihrer Gegenwart auseinandersetzen.