Die als „Chogealls“ bezeichneten Meeresfelsen bei den Palau-Inseln, gemalt 1917. Fotos: oh Quelle: Unbekannt

Von Dietrich Heißenbüttel

Esslingen - Gerhard Polacek steht ganz im Fokus des Festsaals der Villa Merkel mit dem halbrunden Erker zum Park, ein Schild am Revers, das ihn als Aufsicht der Städtischen Galerie ausweist. Brav stellen Zuschauer, die dabei sind, sich Klappstühle zu nehmen, diese auf seine Anweisung hin wieder zurück. Und greifen dann doch zu, als er es anordnet, darauf bedacht, dass die Stühle ordentlich in Reih’ und Glied stehen. Dass er die Besucher auffordert, sich nicht an die Bilder von Rolf Garnich zu lehnen, die in der aktuellen Ausstellung des Kunstvereins Esslingen an der Wand hängen, passt zu seiner Rolle. Der Hinweis wäre natürlich auch so angebracht. Hat das Stück schon begonnen?

Goldkettchen um den Hals

Zuerst passiert gar nichts. Polacek steht still vor dem Publikum, seine Blicke schweifen über die Zuschauerreihen. Das ist seine Rolle, seine Funktion: Aufsicht. Nicht sprechen, nichts tun, nur diskret im Hintergrund herumstehen und aufpassen, dass nichts passiert. Es vergehen fast qualvolle Augenblicke, bevor er wie beiläufig zu reden beginnt: scheinbar desinteressiert, so wie wenn einer vom Museumspersonal mit einem Besucher ins Gespräch kommt. Bereit Auskunft zu geben, aber auch jederzeit wieder den Mund zu halten. Natürlich hört er nicht auf, denn sonst wäre das Stück zu Ende.

Stimmt, er wirkt nicht ganz wie ein durchschnittlicher Galerieaufseher: Weder ist er ein Student, der sich etwas dazu verdienen will, noch ein kunstinteressierter Rentner. Die weiß gestärkte Brust platzt fast aus dem Kragen des etwas zu knappen Jacketts. Um den Hals trägt er ein Goldkettchen. Ohne weiteres nimmt man ihm ab, wie er erzählt, dass er vorher Türsteher einer Diskothek war. Dort kontrollierte er alle, die hinein wollten. Hier wacht er, dass niemand den Saal verlässt. „Ich hab diesen Job angenommen, weil ich Linda versprochen hab, die Nachtarbeit aufzugeben“, sagt der Aufseher. Linda ist seine Frau. Zuerst flunkert er: weil er abends immer gleich weg müsse und nicht mit ihr zusammen sein könne. Dann gibt er zu, dass sein Job als Disco-Türsteher gefährlich ist. Wenn einer plötzlich ein Messer zieht. Dave, so stellt er sich später vor, war beim Militär, das ist seine einzige Ausbildung. Linda sagt, er sei Sicherheitsbeauftragter: „Ich weiß nicht, was sie jetzt erzählen wird. Wahrscheinlich, ich wäre Kunstexperte.“ Das ist gut, denn es trifft den Kern des Stücks nach der Kurzgeschichte „Nipple Jesus“ des Pop-Autors Nick Hornby. Dave hat von Kunst keine Ahnung. „Ob ich schon mal in einer Galerie war“, sinniert er und kann sich nicht erinnern. Polacek schaut dabei so stupide drein, dass man ihn ob seiner Einfalt bemitleiden möchte.

Erste Kooperation mit WLB

Dave soll ein Bild bewachen, ein Kruzifix, das aus hunderttausenden aus Pornoheften ausgeschnittenen weiblichen Brustwarzen zusammengesetzt ist. Er findet zuerst, es sei ein „verdammt gutes Bild“. Dann, als er näher herangeht, erkennt er die Machart und beginnt es zu hassen. Er beobachtet die Besucher, die nach einer flüchtigen Bemerkung weiter gehen, und fragt sich, wie viel Mühe die Herstellung gekostet haben mag. Zweimal im Stück weicht die Miene des tumben Toren, die so perfekt gespielt ist, dass es fast peinlich wirkt, einer ganz anderen Gemütsverfassung. Zum ersten Mal, als Martha, die Künstlerin, mit ihrer Familie im Schlepptau den Saal betritt - alles immer nur in der Erzählung des Aufpassers, die das Geschehen unwillkürlich, in den Räumen der Villa Merkel, vor dem inneren Auge erstehen lässt. Dave beneidet sie ein wenig um ihren Vater: ein großer Jeans-Träger, der seine grauen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hat. Er erklärt sich bereit, die Familie zu fotografieren, und erwärmt sich mehr und mehr für die Künstlerin, nachdem diese ihm zum Dank einen Kuss auf die Wange drückt.

Das zweite Mal fällt er aus seiner Rolle, als er es nicht fertig bringt, seinen Auftrag zu erfüllen und das Bild vor der wütenden Meute zu schützen, die das Machwerk empört herab reißt und darauf herum trampelt. Da packen ihn Wut und Verzweiflung. Doch in dem Moment zeigt sich rückblickend, dass auch Martha nur provozieren will, und dass Dave, der zur Galerie-Aufsicht mutierte Türsteher, er einzige ist, der sich wirklich Gedanken macht, was Kunst bedeutet. Mit minimalen Requisiten bravourös gespielt von Gerhard Polacek in der ersten Kooperation der Württembergischen Landesbühne mit der Villa Merkel.

Weitere Termine: 13., 14., 15., 19., 20. und 21. Oktober, jeweils 20 Uhr sowie 16. Oktober, 18 Uhr und 23. Oktober, 11 Uhr.