Martin Frolowitz, Sabine Christiane Dotzer und das Kammerorchester unter Leitung von Johannes Zimmermann (von links) haben das Bilderbuch „Ein Schaf fürs Leben“ als gelungene Parabel für Vertrauen und Freundschaft auf der WLB-Bühne inszeniert. Foto: Weber-Obrock Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Es gibt Konzerte, da ertappt man sich schon nach wenigen Minuten, wie man zum ersten Mal unwillkürlich auf die Uhr schaut. Manchmal, und leider sehr viel seltener, ist es aber auch ganz anders: Man versinkt vollkommen in der Musik, lässt sich nur zu gern in reizvolle Klangwelten entführen und könnte noch stundenlang zuhören, weil jede Sekunde ein Genuss ist. Eine dieser Sternstunden erlebte nun das qualitätsverwöhnte Publikum des Esslinger Jazzkellers: Mit Jerry Bergonzi war einer der renommiertesten Instrumentalisten der Welt zu Gast, und er hatte drei Kollegen mitgebracht, die perfekt mit ihm harmonierten. Am Ende überschlugen sich selbst langjährige Jazzkeller-Kenner mit Superlativen, weil die Musiker alles gegeben hatten - und das ist eine ganze Menge.

„Architekt der Musik“

Jerry Bergonzi (Saxofon), Carl Winther (Piano), Johnny Aman (Bass) und Anders Mogensen (Schlagzeug) - jeder dieser vier Musiker ist eine Klasse für sich. Doch vier ausgewiesene Könner garantieren noch lange nicht für ein brillantes Ensemble. Es gehört viel mehr dazu, vier unverwechselbare Charaktere zu einem stimmigen Ganzen zu vereinen. Bergonzi und seinen Kollegen ist das gelungen, weil jeder von ihnen den Jazz im Blut hat, weil keiner dem anderen die Butter vom Brot nehmen will und weil sie sichtlichen Spaß daran haben, zusammen auf der Bühne zu stehen und gemeinsam eine Musik zu kreieren, die instrumentale Finesse, melodische Klarheit und geniale Spontaneität in sich vereint. Und hinter allem steht mit Jerry Bergonzi ein Jazzer, der in seinen Konzerten deutlich werden lässt, weshalb manche in ihm einen „Architekten der Musik“ sehen: Zusammen mit seinen Kollegen gelingt es ihm, den einzelnen Nummern immer wieder neue Seiten abzugewinnen und die Zuhörer ein ums andere Mal mit überraschenden Wendungen zu verblüffen.

Es ist ein Vergnügen, diese vier Musiker auf der Bühne zu erleben, denn was in Wahrheit hartes (und unübersehbar schweißtreibendes) Handwerk ist, kommt mit wohltuender Leichtigkeit und großer Selbstverständlichkeit daher. Jerry Bergonzi kommt aus der Tradition des Hard Bop, doch sein musikalisches Spektrum reicht entschieden weiter. Technisch brillant zeigt er in seinen Konzerten eine ungeheuere Vielseitigkeit - und ein ausgeprägtes Gespür für Improvisationen. Wenn ein Weltstar wie er auf der Bühne steht, laufen die anderen Musiker häufig Gefahr, neben ihm etwas ins Hintertreffen zu geraten. Doch das passt nicht zu diesem Quartett - und zum Frontmann schon gar nicht. Jeder darf sich mal in den Vordergrund spielen, und der Maestro freut sich selbst am allermeisten, wenn seine Kollegen brillieren. Das fängt mit Carl Winther an, der im Esslinger Jazzkeller kein Unbekannter ist: Vor Jahren stand er dort zusammen mit seinem Vater Jens auf der Bühne, seit damals ist der dänische Pianist weiter gereift und begegnet Bergonzi auf Augenhöhe. Dass die beiden dem Sound jedes Ensembles ausgesprochen guttun können, ist keine Überraschung. Dass auch Schlagzeug und Bass weit mehr als nur Begleitinstrumente sind und manche Nummer ganz wesentlich prägen können, bewiesen die beiden anderen Musiker im Quartett: Der Finne Johnny Aman legte zwischendurch immer mal wieder eine beeindruckende One-Man-Show am Bass ein. Und der dänische Schlagzeuger Anders Mogensen ließ mit seiner technischen Perfektion Jazzkeller-Urgestein „Albo“ Borst staunen: „Unwahrscheinlich, was der mit seiner linken Hand anstellt.“ So machten die vier Musiker diesen Abend zum vorgezogenen Weihnachtspräsent für viele Jazz-Fans.