Rasanter Ausschnitt eines Tages in der „Heißen Ecke“: Kira Thomas, Sascha Diener, Ambrogio Vinella und Maxim Agné (von links) als klassische Reeperbahn-Figuren. Foto: Sabine Haymann Quelle: Unbekannt

All den Stiftern und Mäzenen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist diese Ausstellung gewidmet. Die Vitrinen dokumentieren den Kreislauf von Geben, Pflegen, Archivieren und Erforschen der Objekte.

Von Dietholf Zerweck

Marbach - Friedrich Schiller als Namenspatron des Marbacher Archivs und Literaturmuseums ist in verschiedener Hinsicht ein Ausgangspunkt der neuen Ausstellung „Die Gabe / The Gift“, welche den Aspekt des Mäzenatentum in den Mittelpunkt stellt. Von Schillers Vater, der sich gärtnerisch und wissenschaftlich mit Obstbaukunde (Pomologie) beschäftigte, über die Aquarellstudien seiner Lieblingsschwester Christophine, den Apfel als Stimulans des Dichters in der Schublade, bis zum Apfelschuss im „Wilhelm Tell“ gehört die Frucht quasi zum Gründungsmythos der Marbacher Sammlungen, von deren Schätzen 160 Exponate in der Sonderausstellung Wert und Wirkung des Schenkens bezeugen. All jenen Stiftern und Mäzenen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als der Bankier Kilian Steiner mit einer großen Anzahl von Autographen, Bildern und Erinnerungsstücken von Schiller und seinem Umfeld den Grundstock für die Institution des Deutschen Literaturarchivs legte, ist die Ausstellung gewidmet: mit der Stiftung des Cotta-Verlagsarchivs 1961 mit seinen rund 150 000 Briefen, Druckvorlagen und Manuskripten, dem Erwerb des Suhrkamp-Verlagsarchivs sowie der Gründung des Freundeskreises im Jahr 1995 kamen weitere höchst bedeutsame Initiativen hinzu, und allein in den letzten zehn Jahren konnte die Marbacher Schillergesellschaft 2500 Namen von Stiftern verzeichnen.

Natürlich sind es in erster Linie die Vor- und Nachlässe von Autoren, welche die Sammlungs- und Forschertätigkeit des Deutschen Literaturarchivs bestimmen. Die beiden Kuratorinnen Susanna Brogi und Magdalena Schanz haben in vier Räumen des Literaturmuseums der Moderne hierzu „Marbacher Schmuckstücke“ im Kontext des Apfel-Symbols präsentiert. Unter drei Glaszylindern sind „Kerne“ der Sammlungen zu betrachten: eine Haar-Reliquie Schillers, auf Veranlassung seines Sohnes vom Stuttgarter Bijoutier Banzhaf in ein Medaillon gefasst; eine in Esslingen geprägte Silbermedaille zur 200-Feier der Reformation 1717 mit dem Bildnis Martin Luthers aus dem Nachlass Eduard Mörikes; eine kleine handschriftliche Mitteilung Hermann Hesses vom November 1906 als Beilage zu einem Postpaket, in dem der Verfasser drei Jahre nach der Eröffnung des Schillermuseums diesem ein Konvolut von Reinschriften und Entwürfen seiner 1902 erschienenen Gedichte sowie einiger Bücher sendet: „Hierin ein Exemplar meiner Bücher und ein Manuskript. Für den Brief von Herrn Prof Güntter schönen Dank, zur Antwort ist heute keine Zeit, da ich morgen verreisen muß. H.Hesse“. Eine Schiller-Verehrerin, einige Kulturstiftungen der Länder, ein 29jähriger Autor mit einem „Vorlass“ in früher Vorsorge seines Nachruhms: Geben in ganz verschiedener Gestalt und Funktion.

Wie „Blüten und Blätter“ schmücken Handschriften, Erinnerungsstücke und Bilder - so die Kuratorinnen - den Reichtum des Archivs. In den ästhetisch ansprechenden, kreisrunden Tafelvitrinen des Ausstellungsarchitekten HP Merz begegnet man Bechern und Schalen, Brieftaschen und Porträts berühmter Dichter und Schriftsteller. Zum Beispiel einem fluoreszierenden Trinkglas mit Goldrand, welches Goethe aus Karlsbad zwecks Demonstration seiner Farbenlehre an Hegel sandte und das über dessen Sohn und dessen Schwiegersohn, den Physiker Eugen Lommel und dessen Nachfahren - 150 Jahre und eine Auslagerung in einen Bauernhof in Oberbayern während des Zweiten Weltkriegs später - ins Depot des Marbacher Museum kam. In einem Brief an Oscar Bie, den Redakteur der im S.Fischer-Verlag erscheinenden „Neuen Deutsche Rundschau“, preist der junge Autor Thomas Mann 1898 seine Novelle „Luischen“ mit einer Prise Selbstironie in der „Gestalt eines jungen Künstlers von heutzutage mit seiner selbstgefälligen Nervosität“ an. Und aus dem kostbaren Schatz seiner durch öffentliche Mittel erworbenen Kafka-Manuskripte sind hier aus dem Archiv zwei Seiten des „Prozess“ sowie eine Postkarte und ein Brief an die Schwester Ottla ausgestellt. Eine Gabe Martin Heideggers ist die Schrift von Georg Trakls Gedicht „Afra“, welche dem Philosophen 1952 vom Nachlassverwalter des Dichters zum Dank für einen Vortrag, in dem Heidegger Trakls späte Gedichte „in der äußersten Not seines letzten Sagens“ interpretierte, übersandte.

Wie „Gehäuse“ wirken die acht mehrstöckigen Fenstervitrinen im dritten Ausstellungsraum, in dem der Kreislauf von Geben, Pflegen, Archivieren und Erforschen der Objekte mit dokumentiert ist. Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss war in den 1950er-Jahren mit verantwortlich, dass Josef Eberle als Gründer und Verleger der „Stuttgarter Zeitung“ die Handschriftensammlung und das Buch- und Zeitschriftenarchiv des Cotta-Verlags als Dauerleihgabe für das Schillermuseum erwarb, was den Weg zur Gründung des Deutschen Literaturarchivs im Jahre 1955 ebnete. „Was lag, geistig und geographisch, näher, als die kostbaren Bestände dem Schiller-Nationalmuseum in Marbach zur Bewahrung, zur Sichtung, zur Ordnung, zur Katalogisierung, zur Einsicht, zum Ausleihen und Ausstellen anzuvertrauen und so der wissenschaftlichen Forschung und dem Studium aller Interessierten zu erschließen“, heißt es in Eberles Festrede anlässlich der Schenkung 1961. Ein Beispiel für „Bewahrung“ sind die 177 Notizbücher Peter Handkes, die als Vorlass inzwischen in Marbach digitalisiert wurden, und von denen im Heft Nr.52 zwischen Mai und Juli 1987 Schrift durch einen Wasserschaden beschädigt ist. Ein „Denktagebuch“ Hannah Arendts dokumentiert die intensive Auseinandersetzung mit der europäischen Tradition, welche die Heidegger- und Jasper-Schülerin nach dem Zweiten Weltkrieg aufnahm und bis in ihr letztes Lebensjahr fortsetzte, als sie im Sommer 1975 einige Monate im Marbacher Literaturarchiv verbrachte und ihm den Briefnachlass von Jaspers vermachte. Im letzten Ausstellungsraum, der von Jirí Kolárs Apfelskulptur „Am Anfang war das Wort“ dominiert wird, gehört zu den Erinnerungsstücken ein Testament und eine kleine silberne Krone, welche Mary Tucholsky von Ernst Toller in den 1930er-Jahren geschenkt bekam und die sie 1984 in einem Briefkuvert dem Literaturarchiv vermachte. Ein paar Wochen vor seinem Tod 1935 im schwedischen Exil schreibt Tucholsky seiner geschiedenen Frau, die er stets mit „er“ anredete, am Ende des zum Testament gehörenden Briefes: „Hat nur einmal geliebt. Ihn.“

„Die Gabe / The Gift“ im Literaturmuseum der Moderne bis 12. März 2017.