Die Regisseurin gibt Vera Maria Schmidt (Mitte) und Claudiu Marc Draghici Anweisungen. Quelle: Unbekannt

Das Institut für Animation, Visual Effects und digitale Postproduktion spielt international in der ersten Liga. Die Kamera sieht - anders als der Theaterzuschauer - jede Gefühlsregung im Gesicht, jedes kleine Lächeln.

Von Karin Kontny

Dies hier ist die Geschichte eines Traums. Einer, den viele junge Schauspieler und Schauspielerinnen träumen. Irgendwann in einem erstklassigen Hollywood-Streifen mitspielen. Oder in einem deutschen Film eine tragende Rolle übernehmen. Wie eine unsichtbare Sprechblase schwebt dieser Traum auch über den Köpfen der 14 jungen Männer und Frauen, die an diesem Vormittag im Morgenlicht in einem Stuhlkreis sitzen. Hier, in Ludwigsburg, in einem karg eingerichteten Raum mit dem unspektakulären Namen MET 153, soll für rund sieben Wochen das ausprobiert und erarbeitet werden, was ihnen die Schauspielschule kaum oder nur wenig beigebracht hat: das Spiel vor und mit der Kamera.

Seit bereits 15 Jahren bietet die Filmakademie Baden-Württemberg den Workshop an. Inzwischen gehört er zu den führenden Angeboten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Immer mehr Agenturen schicken die bei ihnen unter Vertrag stehenden jungen Schauspieler in den Südwesten Deutschlands, damit sie ihre Präsenz auf der Kinoleinwand oder im Fernsehen verbessern. Seit 2007 findet der Kurs auch in Kooperation mit der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg statt.

Die Teilnahme am Filmschauspiel-Workshop ist fester Bestandteil des Lehrplans der Schauspielstudierenden. Wie für das Studium an der seit 25 Jahren bestehenden Filmakademie allgemein gilt auch für den Filmschauspielkurs: Den jungen Mimen soll nicht nur das Handwerkszeug auf den Weg in das aufregende, aber eben auch harte Filmgeschäft mitgegeben werden. Sie sollen auch die Möglichkeit bekommen, ihr eigenes Profil zu entdecken und ihren Charakter zu schärfen. Experimentieren ist also erwünscht. Perfekt sein von Anfang an - das wird nicht erwartet. So mancher Darsteller - wie die ehemaligen Teilnehmer Julia Koschitz, Hans-Jochen Wagner oder Fahri Yardim - hat mit diesem Mut zum Eigensinn den erfolgreichen Weg ins Filmbusiness geschafft und wurde sogar direkt aus dem Kurs heraus für spannende Produktionen besetzt.

„Als Regisseur wünsche ich mir Schauspieler mit Skills, die auch mündig sind, mit dem Stoff umzugehen“, erklärt Christian Wagner, der in Jeans und Lederjacke im Kreis der aktuellen Workshopteilnehmer sitzt, den Ansatz des Kurses. „Wir werden in den folgenden Tagen und Wochen also darauf hinarbeiten, Workshopszenen zu drehen, die wir uns dann im hauseigenen Kino, dem Caligari, ansehen und analysieren.“ Wagner ist nicht nur selbst Regisseur und Drehbuchautor, sondern als Professor für Spielfilm, Development und Schauspiel an der Filmakademie Baden-Württemberg auch einer der Initiatoren des FilmschauspielWorkshops. Wie alle Dozenten des Kurses kann er nicht nur Theorie vermitteln, sondern direkt aus der Praxis der Filmarbeit berichten.

Auch einige der Teilnehmer - etwa die 28-jährige Canan Suvatlar, der 30-jährige Claudiu Marc Draghici und die 24-jährige Vera Maria Schmidt haben bereits erste Praxiserfahrungen beim Film gesammelt. Andere, zum Beispiel der 24-jährige Simon Mazouri, der wie Vera Maria Schmidt aktuell an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst im letzten Jahr Schauspiel studiert, bringen vor allem ihre Erfahrungen am Theater mit.

Dass sich die Arbeit beim Film von der auf der Bühne in einigem unterscheidet, erleben alle Teilnehmer gleich bei der ersten Übung. Dozent Christian Wagner teilt sie in Gruppen ein, und jeder bekommt per Zettel eine Rolle und einen kleinen Dialog zugewiesen. Ohne große Vorbereitung wird eine Situation am Filmset gespielt, in der er entweder den Part eines Schauspielers, Regisseurs oder Tontechnikers übernehmen wird. Und meistens sieht das richtig chaotisch aus. Die Rollenzuteilung will es so. Simon Mazouri, der einen Regisseur spielt, kann sich gegen seine Truppe nicht durchsetzen und springt wie ein Gummiball durch den Raum. Canan Suvatlar, die eine esoterisch angehauchte Schauspielerin gibt, die sich einfach nicht auf das Stück einlassen kann, überlagert mit ihrem Ego die ganze Szene.

Fazit des Ganzen? Christian Wagner fasst es zusammen: „Beim Film ist die Haltung des Einzelnen das wirkungsmächtigste Element.“ Denn die Kamera sieht - anders als der Theaterzuschauer - alles. Jede Gefühlsregung im Gesicht, jedes kleine Lächeln, jeden unsicheren Blick, jede überflüssige Geste. Umso wichtiger ist es also, an dieser Ausdrucksstärke, an der eigenen Präsenz zu feilen. Unter den Augen von Profis. Und natürlich unter denen der Kamera.

Nach zwei Wochen Kurs ist es endlich soweit. Die Teilnehmer haben drei Dozenten hinter sich. Einführung in Filmsprache und Filmschnitt bei Christian Wagner, Einüben erster Texte für den geplanten Film und Durchsprechen der eigenen Rolle in einem intensiven Einzelcoaching mit Kai Ivo Baulitz, Schauspieler und Drehbuchautor. Mit Nina Haun, die unter anderem Lars Eidinger quasi von der Bühne weg zum Film gebracht hat, übten die Workshopteilnehmer Casting-Situationen ein, also das Vorsprechen für einen Film. Nun sitzt Claudiu Marc Draghici in der Maske und wird geschminkt. In seinen Haaren schimmert Gel, in seinem Gesicht liegt Ruhe. Er hat schon in einigen Filmen mitgespielt, wirkt am Set fast schon routiniert. „Für mich ist der Kurs die Chance, intensiv an mir zu arbeiten.“ Das Einzelgespräch mit Kai Ivo Baulitz hat ihm ganz neue Herangehensweisen an eine Rolle gezeigt. „Innerhalb kurzer Zeit hat sich mir eine Welt eröffnet, in der ich meine Figur entwickeln kann.“

Eine Szene aus dem Film „3 Zimmer/Küche/Bad“ steht heute für ihn, Simon Mazouri und Vera Maria Schmidt an. Die Aktrice ist ein wenig erkältet, die Tage waren lang, anstrengend sowieso. Das Spielen vor der Kamera fordert von allen höchste Konzentration. Obwohl Schmidt in der schwäbischen Tragikomödie „Gobal Players - Wo wir sind, isch vorne“ schon als Enkelin des Firmenpatrons Paul Bogenschütz gespielt hat, muss sie sich als Theaterschauspielerin immer wieder selbst daran erinnern, dass sie eben nicht auf der Bühne, sondern für die Kamera spielt. Konkret: nicht mit dem Rücken zur Kamera stehen. Präzise spielen, auf den Punkt genau Stimmungen abrufen. „Es sind eigentlich ganz einfache Dinge“, meint sie, „aber trotzdem muss ich mich darauf konzentrieren, mich nicht wie auf einer Theaterbühne zu verhalten.“

Simon Mazouri geht es ähnlich. „Vom Theater bin ich es gewöhnt, meine Sätze viel betonter zu sprechen, sie manchmal zu sehr zu dehnen.“ In den vergangenen Tagen hat er daran gearbeitet und auch seine Wirkung vor der Kamera entdeckt. Nun muss er bei den Aufnahmen darauf achten, nicht wieder in alte Theater-Muster zu verfallen. Zum Glück hat das Team dieses Drehtages - allesamt Studierende der Filmakademie - ausreichend Zeit und Geduld und außerdem auch selbst noch Bedarf, den „Ernstfall Filmdreh“ zu üben.

Doch das ganz große Experimentier- und Übungsfeld wartet am Ende der letzten Workshop-Woche in einem der Backsteinbauten auf dem Campus: Motion Capturing. Ein Hauch von Hollywood, mitten in Baden-Württemberg. Das Verfahren, bei dem menschliche Bewegungen und auch Mimik und Gestik auf im Computer generierte 3D-Modelle umgesetzt werden, kam etwa in der Hobbit-Trilogie zum Einsatz. Die Filmakademie, die mit ihrem 2002 gegründeten „Institut für Animation, Visual Effects und digitale Postproduktion“ international in der ersten Liga spielt, hat für diesen letzten Kursteil die Dozenten Oliver Hollis-Leick und John Dower engagiert, die als Experten in diesem Bereich gelten. Canan Suvatlar ist sofort bereit, die Technik einmal selbst auszuprobieren. Sie schlüpft in ein hautenges Suit, das an einen Neoprenanzug erinnert. Auf diesem Anzug bringt John Dower sogenannte Marker an, deren Signal von Kameras verfolgt wird, die an einem Gerüst unter der Decke im Studio fixiert sind. Über die Bilder der Kamera wird mit einer speziellen Vermessungsmethode (Tracking) die Position der Marker in 3D berechnet und auf eine Figur übertragen.

Canan Suvatlar soll einem schlaksigen Mann Leben einhauchen. Und das ist, erwartungsgemäß, gar nicht so einfach. Die Bewegungen wirken an der Figur auf dem Bildschirm schnell künstlich. Selbst ein einfacher Gesichtsausdruck wird für Suvatlar zur Ausdauerübung. Den Mund öffnen. Noch einmal. Und noch einmal. Nicht zu schnell. Und nicht zu langsam. „Ganz schön schwierig“, urteilt Canan Suvatlar. Bis zur Rolle in einem Motion-Capturing-Streifen ist’s wohl noch ein langer Weg. Dafür ist sie zum Casting für einen anderen Film eingeladen. Der Kontakt kam über den FilmschauspielWorkshop zustande. Traumhaft.