Stuttgart -Ein aufgeregtes Grummeln vom Kontrabass, ein schwebender Ton vom Tenorsax, Trompetensplitter, ein paar Filzschlegel-Riffs auf Becken und Drums, präludierende Arpeggien am Piano: Ein Gewirr von Stimmen entsteht, steigert sich zum hochgesteuerten Sound, der Beethovensaal beginnt zu vibrieren, gleich wechselt der Pianist ans Keyboard, Fusion scheint angesagt. Doch bei den ersten rauen, perkussiven Akkorden Chick Coreas zu Kenny Garretts Saxophon-Kantilenen und den schwindelerregend furiosen Läufen von Wallace Roneys Trompete wird klar: An diesem Abend unter dem Motto „Homage to the Heroes“ hat das Chick Corea Quintett vitale Musik im Geist des Hard Bop und Free Jazz im Sinn, angetrieben vom ungeheuer vielseitig schlagenden Drummer Marcus Gilmore und heftig inspiriert von Christian McBride am Kontrabass, der das Publikum in der ausverkauften Liederhalle bei jedem seiner grandiosen Soli zum Jubeln bringt.
Für Chick Corea und seine Band ist sein Stuttgarter Konzert - das einzige deutschlandweit und bei den Jazzopen sein Debüt - der Auftakt einer Tournee zum 75. Geburtstag. Doch Coreas einfallsreiche, variable Interaktionen mit McBride, seine weit ausgreifenden, Tempo und Rhythmen wechselnden Improvisationen sind so frisch und überraschend wie eh und je. „Something“ ist in seiner Version mit schrägen Dissonanzen verfremdet, in die Spannungsräume, die sein punktuelles Spiel aufreißt, stößt der Kontrabass mit explosiven Attacken, Gilmores erstes Schlagzeug-Solo wird von beiden kommentiert und weitergedacht. Ganz traditionell hat jeder Mitspieler der Reihe nach seine ausgiebige Soloimprovisation, die sich dann aber individuell ins Rhapsodische ausweitet. Nach dem zweiten, Bud Powell gewidmeten Stück, mit magisch mutierenden Akkorden in Coreas Intro und einem von kapriziösen Skalen weit gespannten Solo, ist eine Dreiviertelstunde schon wie im Flug vergangen.
Atemberaubender Diskurs
Das nächste Stück hätten sie eigentlich noch gar nicht richtig geprobt, sagt Chick Corea zu Diane Warrens „Chasin‘ The Wind“ und stellt den Notenpult vor seine beiden Bläser. Die stellen wie gewohnt das kurze Thema unisono vor, doch wie Wallace Roney dann seine Koloraturen in Höchstgeschwindigkeit aneinander reiht, Kenny Garrett mit seinem Saxophon hitzig kontert, ist das ein atemberaubender Diskurs. Ohne ihn folgt eine rhapsodische Ballade, die von Trompetenstößen dynamisch aufgeladen wird, und in Triobesetzung widmet sich Corea dem Jazzstandard „Stardust“, dessen originelle Transformationen er am Ende passenderweise mit einem Zitat aus Schönbergs „Verklärte Nacht“ ausklingen lässt. Auch im letzten Stück des Programms ist das Spiel des Quintetts voller unvermuteter Einfälle und Wendungen, noch einmal lassen Corea und McBride die Funken sprühen, nun hat Gilmore das letzte Wort mit einem schier endlosen Schlagzeugsolo von berstendem Drive. Und mit einem witzig pointierten Akkordzitat von Duke Ellingtons „Take the A-Train“ macht der geniale Jazzpianist die Reverenz vor einem weiteren Helden der Jazzhistorie.
Im ersten Teil des hochkarätigen Abends im Beethovensaal der Liederhalle, der nach zwölf Jahren zum ersten Mal wieder Spielort bei den Jazzopen war, zeigten sich das Branford Marsalis Quartett und Kurt Elling als Jazzsänger in verschiedensten Stilen und Arrangements versiert. „The Mighty Sword“ von Joey Calderazzo groovte mit brillanten Läufen und drängendem On-Beat, auf dem Sopransaxophon kapriolte Branford Marsalis.
Bei Gershwins „There’s A Boat That’s Leaving Soon for New York“ legte Elling das Timbre von Sammy Davis Jr. auf seine Stimmbänder, bei „Blue Gardenia“ klang es eher nach Nat King Cole. Dass Elling aber außer Crooning und Scat-Virtuosität seinen Bariton auch origineller einsetzen kann, zeigten seine stimmakrobatischen Intervallsprünge in „One Island To Another“, garniert mit einem rockigen Tenorsax-Solo und hämmernden Oktaven vom Piano. Am schönsten motivierten sich Elling und Marsalis gegenseitig bei ihrer Version der Sting-Ballade „Practical Arrangement“: sängerisch ausgefeilt und instrumental in Ekstase gespielt.