Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Vier Harfen standen - eindrucksvoll an der Rampe positioniert - auf der Bühne des jüngsten Sinfoniekonzerts der Stuttgarter Philharmoniker. Das konnte nur bedeuten, dass französische Musik gespielt wird. Denn in Frankreich gelang der Harfe der Sprung aus dem Orchestergraben ins Sinfonieorchester, und dies erstmals über die sinfonischen Dichtungen Hector Berlioz’. Und diesem großen französischen Neuerer der Musik - was hat er nicht alles an Ausdrucksformen erfunden? - galt dann auch dieser Abend im gut gefüllten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle.

Endlich konnte man mal wieder die grandiose Symphonie fantastique hören, in der Berlioz 1830 den Fiebertraum einer empfindsamen, von Opium berauschten Künstlerseele vertonte und für die jene vier Harfen aufgestellt worden waren. Eine aufwendige Angelegenheit, denn Berlioz setzte sie lediglich im zweiten Satz und seinem rauschenden Tanzfest ein, um den mitreißenden Walzerrhythmen der Streicher mehr Glanz zu verleihen. Der große Schwung dieses Satzes gelang dem Chefdirigenten der Philharmoniker, Dan Ettinger, ganz prächtig, so wie auch der weite dramatische Bogen der ganzen alpträumerischen Symphonie: von den Todesvisionen und quälenden Seelenzuständen eines unglücklich Liebenden bis hin zum furiosen Hexensabbat.

Fagott und Schafott

Ettingers Dirigierstil, der auf Hüpfen und Tanzen, Schleuder- und Flatterbewegungen und genauen Fechtstichen basiert, setzt allerdings zu sehr auf den großen Bogen. Mehr Detailarbeit wäre in diesem Falle gut gewesen. Es fehlte gelegentlich an Präzision im Zusammenspiel der Streicher. Aber mit ihrer üppig besetzten, satt aufspielenden Bläserfraktion sind die Philharmoniker prädestiniert für die Symphonie fantastique und ihre vielen instrumentalen Sologesänge: Etwa wenn Fagott sich plötzlich auf Schafott reimt, wenn die Klarinette zur Stimme der heroischen Liebe wird, wenn das schwermütige Englischhorn von romantischer Fernensehnsucht und Natureinsamkeit spricht. Und was zu Beginn noch zusammenfinden musste, steigerte sich im Verlauf des gut einstündigen Werks zu einem mitreißenden Drama, das in tosendem und sehr lang anhaltendem Applaus mündete.

Vor der Pause hatten sich Ettinger und die Philharmoniker allerdings ein wenig zu sehr auf die Sängerin Rinat Shaham verlassen. Im Orchester-Liederzyklus „Les nuits d’été“ (Sommernächte) kam die schöne Tiefe ihres dunklen Mezzosoprans voll zur Entfaltung, und auch in anderen Höhenlagen artikulierte sich die Israelin ausgesprochen ausdrucksstark. Überhaupt schien Shaham all die Leiden, von denen in der vertonten Lyrik die Rede ist, selbst zu durchleben: Todessehnsucht, Trauer, Liebeskummer, Trennungsschmerz. Schließlich trug Berlioz ja in diesen Liedern seine Liebe zur berühmten Shakespearedarstellerin Harriet Smithson zu Grabe. Und das vermittelte Shaham sehr intensiv, derweil das Orchester eher mitspielte, als dass es für Atmosphäre oder ein transparentes, durchgestaltetes Klangbild gesorgt hätte. Dennoch war dieser Abend insgesamt ein gelungener Saisonauftakt.