Text und Musik stehen im Mittelpunkt der Inszenierung „Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten“ des Duo Phantasma mit Johannes Weigle und Michael Stülpnagel (rechts). Foto: Weiß Quelle: Unbekannt

Von Gaby Weiß

Das Scala, das aufwendig sanierte einstige Traditionskino am Charlottenplatz, will seine etwas eingeschlafenen kulturellen Ambitionen neu beleben: Den Auftakt dazu hat am Wochenende das Duo Phantasma gemacht, das bis in den Sommer hinein einmal im Monat mit „Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten“ auf dem Programm steht. Der Schauspieler Michael Stülpnagel und der Musiker Johannes Weigle haben die als Theaterstück 1994 veröffentlichte Erzählung des italienischen Autors Alessandro Baricco als „emotionales Kopfkino“ angekündigt, was durchaus prima funktioniert: Dem Publikum wurde bei der klug und liebevoll inszenierten Premiere tatsächlich warm ums Herz - was vor allem in den zugigen ersten paar Sitzreihen willkommen war.

Die feinsinnige musikalische Lesung des Duo Phantasma, die Text und Musik großartig verschränkt, lässt Bariccos Geschichte von „Novecento“ lebendig werden. Am 1. Januar 1900 findet die Besatzung auf einem zwischen Europa und Amerika pendelnden Passagierschiff auf dem Flügel des Ballsaales einen neugeborenen Jungen. Ein Matrose kümmert sich rührend um den Kleinen, der weder Familie noch Geburtsdatum noch Nationalität besitzt. Er gibt ihm - zu Ehren des neuen Jahrhunderts - den Namen Danny Boodman T. D. Lemon Novecento. Als Jahre später dieser Ziehvater stirbt, soll der Junge bei den Hafenbehörden angemeldet werden. Da er noch nie an Land war, versteckt er sich auf dem Schiff und taucht erst auf hoher See wieder auf. Er hat sich das Klavierspiel beigebracht und rührt mit seiner seelenvollen Musik die Passagiere sowie die Mannschaft zu Tränen. Novecento kann den Menschen zuhören, in ihren Gesichtern lesen und ihre Gefühle sowie Gedanken erspüren.

Erzählt wird Novecentos Geschichte von einem jungen Trompeter, der in der Bord-Band spielt. Die beiden werden Freunde, in der Musik können sie sich all das anvertrauen, was sie in Worten niemals sagen könnten. Novecentos Versuch, das Schiff eines Tages doch zu verlassen, scheitert: Der Ozean und das Schiff sind sein Zuhause, und die Welt ist zu groß für ihn: „Es gab alles. Aber es gab kein Ende. Stell dir vor: ein Klavier. Die Tasten fangen an. Die Tasten hören auf. Man spielt sein Glück auf einer Klaviatur, die nicht unendlich ist. Das Land ist ein Schiff, das zu groß für mich ist.“

Der Esslinger Schauspieler Michael Stülpnagel haucht - nur über seine Stimme - den Figuren Leben und Charakter ein: Mucksmäuschenstill folgt das Publikum den lebensklugen Gedanken des Novecento, fröhlich freut man sich am spitzbübischen Lausbubenhumor des Ich-Erzählers. Der Multi-Instrumentalist Johannes Weigle hat einen stimmungsvollen sowie stilsicheren Soundtrack komponiert und arrangiert, der die Musik zu einem der Hauptdarsteller macht und immer wieder ohne Umweg über das Gehirn direkt ins Herz geht. Das Duo Phantasma konzentriert dieses Stück ohne viel Chichi auf Text und Musik und gibt viel Raum, sich über philosophische Fragen Gedanken zu machen: Was ist Freundschaft? Was ist Glück? Was bedeutet Freiheit? Für Novecento in seiner Miniaturwelt an Bord des Schiffes ist Freiheit all das, „was zwischen Bug und Heck Platz hat“ - und die 88 Tasten seines Klaviers, die ihm die grenzenlose Freiheit der Musik ermöglichen.

Phantasma spielt „Novecento“ auch an den Sonntagen 12. Februar, 12. März, 2. April und 25. Juni jeweils ab 17.30 Uhr im Scala. Die Vorstellung am Mittwoch, 24. Mai, beginnt um 19.30 Uhr. Karten gibt‘s in der Stadtinfo, in der Buchhandlung Provinzbuch, in der Osteria La Vite und im EZ-Haus am Marktplatz 6.