Auf der Bühne lebt Anastacia Träume und Emotionen aus - allerdings nur in den besten Momenten ihres Auftritts. Zwischendrin lässt sie auch mal die Stimmung kippen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Stuttgart - Anastacia war mal eine ganz Große. Musikalisch ist sie heute noch immer top. Aber auf der Bühne mutiert sie mitunter zum Kasperle - und kratzt damit an ihrem Ruf als exzellente Livekünstlerin, den sie sich spätestens im Oktober 2004 erarbeitet hatte. Damals sprengte sie regelrecht die Stuttgarter Schleyerhalle, zelebrierte mit 12 000 Fans ein fantastisches, ungemein emotionales Konzert. Irgendwann danach begann ihr Abstieg. Warum, weiß bis heute niemand so recht. Vielleicht lag es an ihrer zweimaligen Brustkrebs-Erkrankung. Augenblicklich bilden Konzerthäuser wie die Stuttgarter Liederhalle ihren Rahmen.

Falscher Ort für die „Auferstandene“

Doch der bestens gefüllte Beethovensaal ist im Grunde der falsche Ort für die „Auferstandene“, was Anastacia im Griechischen bedeutet. Trotz guter Akustik. Er ist bestuhlt, die Leute sitzen, als wären sie nach einer arbeitsreichen Woche müde. Dabei kann man bei Anastacia nicht stillsitzen. Denn die 47-Jährige, in Chicago geborene und in New York aufgewachsene kleine Frau mit der großen Stimme ist im Normalfall mitreißend, anrührend, aufrichtig und echt. Und das Konzert wäre eine fulminante Arenashow, wenn es nicht zurückgestutzt und auf Familienformat gepresst wäre. So aber dauert es tatsächlich eine Dreiviertelstunde, bis das verhaltene Publikum zum allerersten Male aus seiner Gediegenheit gerissen wird, und das ausgerechnet auch noch mit einem Coversong: dem brillanten „Best of you“ von den Foo Fighters.

Doch statt die brodelnde Stimmung zu nutzen oder weiter anzuheizen, verlässt Anastacia die Bühne. Sich umziehen. Die Stimmung kippt, und das Spiel beginnt von vorne. Erst nach einer weiteren Dreiviertelstunde, bei ihrem ganz großen, fast ekstatisch überdrehten Hit „I‘m outta love“, dem letzten Song des regulären Sets, schafft sie es, dass sich die Fans erneut erheben, und sogar bis zum Ende der Zugaben stehenbleiben.

Das Konzert ist im wahrsten Sinne ein Auf und Ab. Furiose und emotional berührende Momente wechseln sich ab mit gedehnt-langweiligen Minuten, die entweder die Zeit überbrücken, bis Anastacia nach ihren Kostümwechseln wieder die Bühne betritt, oder die genutzt werden, die Band vorzustellen. Das ist nur bedingt witzig, Anastacia übertreibt es mit ihrer überkandidelten Verbal-Show, die stellenweise an Kindergeburtstage erinnert. Nötig hätte sie das nicht, denn bereits der rockige Auftakt mit „Army of me“, einem Cover des Christina Aguilera-Songs, mit „Sick and Tired“ sowie dem rhythmischen „Stupid little Things“ vom Album „Resurrection“, mit dem sie sich vor zwei Jahren nach ihrer zweiten Krebserkrankung erneut zurückgemeldet hat, beweist: Ähnlich wie Tina Turner hat sie ein goldenes Händchen für hammergeile Melodien, griffige Kompositionen und natürlich eine unter die Haut gehende Stimme mit höchstem Wiedererkennungswert.

Stimmlich in der Steilwandkurve

Dieses Wahnsinnsorgan, das wie eine Big Black Mama klingt, setzt sie kraftvoll und variantenreich ein. Sie klingt mindestens so energiegeladen und mitreißend wie früher. Die Powerfrau legt ihre voluminöse Stimme derart in die Steilwandkurve dass man fürchtet, sie wird hinausgetragen. Doch im Gegenteil: Aus einem bloß ordentlichen Song macht sie ein Ereignis. Gelegentlich überdreht der blonde Wirbelwind freilich und schreit eher als zu singen. Umso unverständlicher, dass sich Anastacia nicht hundertprozentig auf ihre Musikalität verlässt, sondern immer wieder Gimmicks einbaut um ihre zwei eingangs trommelnden Tänzerinnen herum, die sie jedoch gar nicht braucht.

Erst als sie diesen eine Pause gönnt und einen längeren Balladen-Abschnitt einstreut, mutiert der Auftritt von einem guten zu einem sehr guten. Im schwarzen Kostüm mit Gesichtsschleier singt sie hingebungsvoll „Heavy on my Heart“ und „Stay“. In beide Songs hat sie ihren Überlebenskampf gebannt, erzählt von Angst und Schmerz, aber auch von der Kraft der Liebe, die aus der Dunkelheit führt. Da ist sie plötzlich ganz bei sich und nicht dieses effektheischende All-American-Girl. Und deshalb sind dies, wie die anschließenden Songs „You‘ll never be alone“, „Take this Chance“ und „I‘ll belong to you“, die wenigen wirklich intensiven Momente des Konzerts. Da merkt man, wie sehr Anastacia ihrer Musik vertraut. Die stehenden Ovationen gibt es deshalb zurecht. Bei letzterem, ruhigen Stück schlüpft ihre hervorragende Backgroundsängerin Maria in die Rolle von Eros Ramazzotti, mit dem Anastacia diesen Titel vor zehn Jahren eingespielt hat. Auch die vierköpfige Band ist formidabel, agiert präzise und spielfreudig, rockt überraschend hart etwa bei „Welcome to my Truth“, beherrscht dennoch die gesamte Bandbreite der selbstgekürten „Sprock“-Musik - eine amüsante Wortschöpfung aus Soul, Pop und Rock.

Energiebündel und Quatschmacherin

Mit Energie, Leidenschaft und Glaubwürdigkeit hangelt sich Anastacia durch ihre 20 Songs. Auf Pyrotechnik, Laserlicht oder Videoleinwände verzichtet sie ganz. Dafür läuft der Herzblutkünstlerin das volle Herz über, das sie vor den 2500 Fans ausschüttet. Sie lebt, mit jeder Faser ihres Körpers. Sie verkauft Träume, sie lebt Emotionen aus. Doch immer wieder steht dem hibbeligen Energiebündel das Alter Ego namens Quatschmacherin im Wege. So endet nach 100 Minuten und den formidablen Zugaben „Left outside alone“ und „One Day in your life“ eine schöne Feier des (Über-)Lebens, die aber zwiespältige Eindrücke hinterlässt. Wenn Anastacias Wille scheinbar das Schicksal besiegen kann, dann findet sie auch das Gespür wieder, live vollends zu verzaubern. In der Schleyerhalle wäre die Wirkung sicherlich eine größere gewesen.