Von Martin Mezger

Stuttgart - Selten ist eine Zugabe so erhellend: Mit dem ersten Satz aus der Violinsolosonate Bernd Alois Zimmermanns bedankte sich der Geiger Thomas Zehetmair für den regen Applaus in der Stiftskirche - und die moderne Komposition von 1951 wirkte nicht nur wie ein bewusstes Echo der zuvor erklungenen Solowerke Johann Sebastian Bachs, sondern wie ein quasi zeitloser Modernitätsbeweis der Bach’schen Musik selbst. Über die Jahrhunderte hinweg kommunizieren Kompositionen, die sich nur um sich selbst kümmern, ums radikale Ausloten ihres harmonischen Reichtums, ihrer polyphonen Möglichkeiten in der Beschränkung auf die vier Saiten des Streichinstruments. Was bei Bach wie Zimmermann Expressives und Charakteristisches keineswegs ausschließt.

Zehetmair unterschlägt nicht die Tour de force von Bachs Violinsoli, deren geniales Grenzgängertum sich eben auch am Widerstand des Instruments gegen die polyphonen Prozeduren entzündet. Mit beinahe grimmiger Konzentration intoniert er das Adagio der g-moll-Sonate, dessen Figurationen nicht wie Lockerungsübungen wirken, eher wie strenge Gedankenblitze, als werde hier bereits über die folgende Fuge sinniert. Mit überlegenem Gestaltungsvermögen und der stählernen Schärfe seines modernen Geigentons arbeitet Zehetmair die Kontrapunktik aus, differenziert artikuliert er die Zwischenspiele. Die folgende Siciliana setzt einen träumerischen Kontrast, das finale Presto überdreht Zehetmair keineswegs zu flüchtiger Rasanz, umso energischer pulsiert die Motorik.

Und dann eine andere Klangwelt in der E-Dur-Partita: leuchtend, locker und spielerisch. Wenn Zehetmair hier Arpeggien kurbelt, ist Vivaldis Effektmotorik nicht fern. Er gönnt sich Zärtlichkeiten, gibt den geschmackvollen Tanzgeiger, schwelgt in den Episoden der Gavotte en Rondeau mit ihrem herzhaften Refrain, würzt impulsiv die Bourrée.

Die Synthese aus Strukturklarheit, musikantischem Temperament und charakterisierendem Esprit gelingt Zehetmair in der d-Moll-Partita: organisch atmend die Allemande, voll fetziger Verve die Courante, nobel die Sarabande, die Gigue bei aller wuselnden Quirligkeit prägnant gestaltet statt verhuscht. In der großen und grandiosen Chaconne wird der Geiger dann zum eloquenten Erzähler, führt Dialoge von zartem Frauen-Diskant und markigem Männer-Tenor, entfacht Powerplay, lotet nach sensibler Innigkeit, nimmt den Schluss nachdenklich zurück: Aus der Tour de force wird eine gedankenreiche und expressive Klangreise.