Nobler Besuch: Einen Tag lang war Bachs Autograph von Präludium, Fuge und Allegro Es-Dur in der Bachakademie zu Gast. Foto: Holger Schneider Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Stuttgart - Seit Silbermond vor zwölf Jahren ihren Höhenflug gestartet haben, ist viel passiert. Mensch und Musik sind erwachsener geworden, das Quartett zählt heute zu den erfolgreichsten deutschen Pop-Rock-Bands. Und das ohne den ganzen Castingquatsch, auch wenn Sängerin Stefanie Kloß bei den letzten beiden Staffeln von „The Voice of Germany“ in der Jury saß. Die Powerfrontfrau hat jedoch auch von den Show-Kandidaten gelernt: „Einfach machen, ohne Angst zu haben.“ Genau so war denn auch das Silbermond-Konzert in der Schleyerhalle: einfach voll drauf los. Schon zu Beginn steht Kloß, in grelles Licht getaucht, mitten im Publikum und intoniert „Die Mutigen“. Nur kurz lässt es die Band, die vor allem für ihre Balladen bekannt ist, „Langsam“ angehen, um fortan ordentlich zu rocken. Beginnend mit „Für dich schlägt mein Herz“ und „Meer sein“ wird ordentlich Energie in die in indigoblau getauchte Arena geblasen.

Überragende Live-Qualitäten

Die Live-Qualitäten der Gruppe aus Bautzen sind überragend, die Songs viel besser als auf Platte. Fixpunkt ist Stefanie, die von der ersten Sekunde an ein strahlendes Grinsen im Gesicht trägt: eine herzhafte, mit den Jahren immer besser gewordene Entertainerin, changierend zwischen sympathischem Plappermaul und kleinem Springteufel. Stimmlich füllt sie locker die Halle. Sie beherrscht viele Gefühlslagen, mal zart wie Joan Baez oder Suzanne Vega, mal hymnisch wie Alanis Morrissette oder Jon Bon Jovi. In Sachen Wucht steht sie ihren Bandkollegen, die von einem Keyboarder verstärkt werden, in nichts nach. Andreas Nowak (Schlagzeug) und die Gebrüder Johannes (Bass) und Thomas Stolle (Gitarre) sind gleichfalls Musiker ohne Show- und Starallüren, bodenständig und geerdet, aber ungemein versiert und spielfreudig.

8000 fantastische Fans feiern die Band in der Schleyerhalle, klatschen, wo es angebracht ist, singen aus tiefstem Herzen. Zu „Himmel auf“ dürfen einige mit Stefanie auf den in das Hallenrund ragenden Steg, das Publikum dankt es später mit einem beeindruckenden Lichtermeer zu „Symphonie“ und einem Chor aus 1000 Stimmen. Das ist Euphorie, die sich selber trägt.

Stärkste Gänsehautmomente

Kann die Stimmung überhaupt noch besser werden? Sie kann. Dank einer prall gefüllten, perfekt gemixten Wundertüte aus alten und neuen Songs, aus rockigen und ruhigen Stücken. Hits wie „Irgendwas bleibt“, „Ich bereue nichts“ oder „Durch die Nacht“ wechseln sich ab mit melancholisch-intensiven, feinfühlig komponierten Pop-Songs der neuen, fünften CD „Leichtes Gepäck“. Fast das gesamte feine, vom Folk inspirierte Album spielen Silbermond, und es ist erstaunlich, wie gut sich die neuen mit den alten Stücken vertragen. Mit den neuen Balladen „Allzu menschlich“ und noch eindrucksvoller mit dem entspannten „Heut hab ich Zeit“ zelebriert die Band die stärksten Gänsehautmomente. Bei letzterem Song ragt der hervorragende Thomas Stolle heraus mit einer Genesis-Gitarre, die in ein Pink-Floyd’sches Solo mündet.

Gerade in den leisen Tönen liegt die Kraft des Auftritts. Bei Stücken wie dem Trennungs-Song „Das Leichteste der Welt“ und dem verträumt-schönen „B96“ oder im intimen Mini-Akustikset („Letzte Bahn“, „Unendlich“) ist das Quartett am Besten. Nicht ein Gitarrenzupfer ist im falschen Rhythmus, nicht ein Ton geht Kloß daneben, ihre Mundharmonika-Einlage im Stil von Bob Dylan ist betörend. Silbermonds großes Gefühlskino offenbart hier sein abwechslungsreiches und mitreißendes Potenzial. Es ist ein wirkungsvolles Plädoyer für die Beschränkung auf das Notwendige - jedoch gleichzeitig nicht das Ende an Eindrucksvollem. Die Lightshow ist ansprechend, teilweise bewegliche LED-Screens liefern überdies spektakuläre Projektionen, gemischt aus Realbild- und Videoeinspielern. Gimmicks wie Konfettiregen oder in der Arena verteilte Trommler, die das Lied „Krieger des Lichts“ zusätzlich aufmotzen, sorgen für weitere Ahs und Ohs. Für Silbermond sind all diese Bestandteile bewährte Puzzlestücke ihrer fantastischen Konzert-Dramaturgie. Allerdings entpuppt sich so manch vermeintlich Spontanes nach all den Jahren als lieb gewonnenes Ritual. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass es der eloquenten Steffi noch jedesmal die Sprache verschlägt und ihre Augen feucht werden, wenn Tausende Fans wie bei dem wohl größten Hit der Band „Das Beste“ den Gesang übernehmen?

Mit dem krachenden „Zeit zum Tanzen“ endet die bunte, mal laute, mal leise Achterbahnfahrt der Gefühle. Silbermond zelebriert die Sehnsucht nach dem Spaß und der Ewigkeit - in der Schleyerhalle zweieinviertel Stunden lang knisternd inszeniert als Lovestory zwischen einer Band und ihrem Publikum. Das tanzt förmlich nach Hause, unter einem realen Silbermond, der genauso hell und rund scheint wie die Band zuvor.