Lesen an der WLB aus der sprachlich so reichen Erzählung von Virginia Woolf: (von links) Sabine Bräuning, Irene Ferchl und Barbara Stoll. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Esslingen -Er (oder sie) ist eine der faszinierendsten Gestalten der Weltliteratur: Virginia Woolfs geheimnisvoller Edelmann Orlando wird im England des 16. Jahrhunderts geboren und lebt, äußerlich um die 30 Jahre alt, bis ins 20. Jahrhundert hinein, sieht die Freibeuter der Meere genauso wie das erste Flugzeug. Irgendwann erwacht er nach einem langen Schlaf als Frau und trifft als Lady Orlando auf die großen englischen Dichter, verliebt sich in einen Kapitän.

An der Esslinger Landesbühne (WLB) kann man am morgigen Donnerstag der wunderbaren, sprachlich so reichen Erzählung lauschen, wenn die Schauspielerinnen Sabine Bräuning und Barbara Stoll aus Woolfs Roman lesen. Die Dichterin schrieb ihn 1928 als Hommage an ihre Geliebte Vita Sackville-West, erfand damit sozusagen eine fantastische Biografie für die Freundin. Beide liebten die englische Gartenkultur, die herrlichen Anlagen um ihre damaligen Anwesen kann man heute noch besichtigen. Die Lesung verbindet also die Liebe zur Literatur mit der Liebe zum Garten, umrahmt wird das Programm außerdem von englischer Musik aus all den Epochen, die Orlando durchlebt. Vier Musikerinnen mit dem schönen Namen Ensemble 2‘16‘‘ tragen Kammermusik von Edward Elgar bei oder singen Kunstlieder von Henry Purcell und Benjamin Britten. Womit dann insgesamt ein weibliches Sextett auf der Bühne steht, auch das sieht man nicht alle Tage.

Zitate aus Briefen und Tagebüchern der beiden unabhängigen Intellektuellen Woolf und Sackville-West ergänzen die Roman-Passagen, bilden sozusagen die dokumentarische Klammer um die fiktionale, fantasievolle Welt von Orlando. Ausgewählt wurden die Textstellen von der Autorin und Kulturjournalistin Irene Ferchl, Herausgeberin des Literaturblatts für Baden-Württemberg. Für sie gehört Woolf genau wie Marcel Proust und James Joyce zu den wichtigsten Schriftstellern des 20. Jahrhundert, auch die beiden Sprecherinnen schwärmen von der Schönheit der Romanprosa. Barbara Stoll, derzeit in „Herbstmilch“ an der WLB zu sehen, liebt „das Irisierende der Wortspiele“, Ensemblemitglied Sabine Bräuning hebt das „extrem Feinsinnige“ an Woolfs Roman hervor - und erzählt nebenbei vom großen Publikumserfolg des „Trafikanten“ zuhause in Esslingen und auf den Gastspielen.

Ferchl hat Wendepunkte und besondere Momente des Romans ausgesucht, der Schwerpunkt Garten mischt sich dabei sozusagen natürlich hinein, da sehr vieles in „Orlando“ im Freien geschieht. Sogar für ein Ambiente ist gesorgt, gelesen wird auf weißen Gartenmöbeln der vorletzten Jahrhundertwende. Für die sensible Virginia Woolf, die Zeit ihres Lebens an Depressionen litt, war die Arbeit an „Orlando“ ein „ein einmalig glücklicher Herbst“.

Der Abend über Virginia Woolf und Vita Sackville-West beginnt morgen um 19.30 Uhr im Podium 1 des Esslinger Schauspielhauses.