Trampolin-Akrobatik, die die Gesetze der Schwerkraft scheinbar aus den Angeln hebt: das ukrainische Artisten-Trio Batut. Foto: Alexandra Klein/oh Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Stuttgart -Für manche ist Swing einfach eine flotte Stilrichtung des Jazz - für andere ist diese Musik der Ausdruck eines Lebensgefühls. Musiker wie Fletcher Henderson und Duke Ellington machten sie groß, große Orchester wie die eines Benny Goodman oder Count Basie machten den Swing unsterblich. Und bis heute geht das Publikum sofort begeistert mit, wenn Musik swingt und klingt: Es juckt in den Beinen, man spürt das Bedürfnis, im Rhythmus der Freude mit zu wippen und zu schnippen, und die Mundwinkel zeigen unwillkürlich nach oben. Musik, die das vermag, ist wie geschaffen, um den Soundtrack für ein mitreißendes Varieté-Programm zu liefern. Doch Vorsicht: Nur ein paar Artisten und der eine oder andere Swing-Klassiker machen noch keine gelungene Inszenierung aus. Dafür braucht es ein überzeugendes Konzept - und einen Regisseur wie Ralph Sun. Der künstlerische Leiter des Stuttgarter Friedrichsbau-Varietés ist bekannt für seine stimmigen Inszenierungen, die stets den Unterschied zwischen einer Nummernrevue von der Stange und einem Programm ausmachen, in dem jedes Rädchen auf so magische Weise ineinander greift, dass sich das Publikum nur zu gern dem Zauber des Augenblicks ergibt. Was daraus entstehen kann, zeigt Ralph Sun mit der neuen Friedrichsbau-Show „Swingtime“, die beweist, dass Varieté immer noch ein bisschen mehr sein kann.

Hochkarätige Künstler

Wer eine Show mit dem Titel „Swingtime“ auf die Bühne bringt, braucht dreierlei: hochkarätige Künstler, ein passendes Ambiente und viel Musik. Für letztere sorgt das niederländische Swing-Trio The Slampampers - drei flotte Musiker, die in ihren braunkarierten Anzügen gerne die Knallchargen mimen, musikalisch jedoch über jeden Zweifel erhaben sind: Tonny Ector, Leon Steuns und Eric van de Lest lassen es allein mit Kontrabass, Saxofon und Schlagzeug richtig krachen, und nebenbei führen sie unaufdringlich, mit Herz und viel Humor durchs Programm. Und schon nach den ersten Takten spürt jeder: Diese Jungs haben den Swing im Blut.

Die Musik der Slampampers reißt nicht nur das Friedrichsbau-Publikum mit - auch die Künstler auf der Bühne geben kräftig Gas. Es ist immer wieder eine Kunst, aus einer Gruppe hervorragender Einzelkünstler ein stimmiges Ensemble zu zaubern. Ralph Sun beherrscht diese Kunst vorzüglich. Jedesmal kreiert er auf der Bühne eine passende Szenerie, die für die Akteure nicht nur Kulisse, sondern ein Tummelplatz im wahrsten Sinn des Wortes ist. Diesmal lässt der Regisseur seine Künstler, die ganz im Stil der Swing-Ära gekleidet sind, vor einer nachgebauten Backsteinfassade agieren.

Und die wird immer wieder in die Inszenierung eingebaut - am eindrucksvollsten vom Trio Batut: Die ukrainischen Artisten haben eine ganz besondere Form der Trampolin-Akrobatik kreiert, die es ihnen scheinbar erlaubt, die Gesetze der Schwerkraft aus den Angeln zu heben. Einer nach dem anderen lässt sich aus einem Fenster in der oberen Etage rückwärts aufs Trampolin fallen, um sodann ganz cool die Hauswand in der Waagerechten hinaufzuspazieren. Anfangs ist das wohl geordnet, doch mit der Zeit wechseln sich die drei immer schneller und immer waghalsiger ab, als ob das gar nichts wäre. Schaut man sich das Trio Batut an, erkennt man rasch, welch große Möglichkeiten das neue Varieté-Gebäude am Pragsattel bietet: Dort lassen sich - anders als am früheren Standort - endlich Nummern realisieren, die eine hohe Bühne erfordern.

Hoch hinaus geht es auch mit Dmytro Kharlov, der die alte zirzensische Disziplin Rola Rola in einer Perfektion beherrscht, wie man sie im Varieté nur selten zu sehen bekommt. Leichtfüßig balanciert er auf seinen Metallwalzen, die er in immer halsbrecherischeren Formationen aufeinander stapelt - am Ende hält er auf fünf Rollen, einem Brett und einer Wippe das Gleichgewicht. Und das Publikum hält den Atem an, weil man kaum glauben kann, dass er nicht im nächsten Moment zu Boden purzelt.

Equilibristik in Perfektion

So wartet „Swingtime“ mit immer neuen Überraschungen auf: Die Stuttgarter Hula-Hoop-Artistin Marina Skulditskaya lässt grazil die Reifen um ihre Hüften kreisen - am Ende kreieren gut zwei Dutzend Ringe ein faszinierendes Farben- und Formenspiel. Lena Smaha zeigt sich als Jongleuse der Extraklasse, in immer flotterem Takt lässt sie die Keulen fliegen. Anissa Elakel zeigt im Friedrichsbau Equilibristik in Perfektion. Was bei ihr elegant und federleicht wirkt, ist in Wahrheit Körperbeherrschung der anspruchsvollsten Art. Weil in einem Varieté-Programm auch ein bisschen Erotik nicht fehlen darf, setzt die Sängerin Rita Lynch zwischendurch neben musikalischen auch ein paar burleske Akzente. Und weil jeder Friedrichsbau-Show ein ganz eigener Zauber innewohnt, ist mit dem Spanier Raul Alegria auch ein Magier mit von der Partie: Und ganz egal, ob er mit Karten trickst, Schnüre zerreißt und wieder zusammenfügt oder eine Entfesselungsnummer ganz im Stil des großen Houdini präsentiert - auch in seinen Nummern ist Musik drin, wie es sich für ein Programm mit dem Titel „Swingtime“ gehört.

„Swingtime“-Vorstellungen im Friedrichsbau-Varieté bis 11. Februar 2017 mittwochs bis samstags 20 Uhr, sonntags 18 Uhr; von Mitte Dezember bis Mitte Januar auch montags und dienstags (20 Uhr).