Virtuose ohne Eigenschaften: Till Brönner ist ein glänzender Stilist, bleibt aber stets berechenbar. Foto: Hans Kumpf Quelle: Unbekannt

Von Harry Schmidt

Stuttgart - Mit einem Publikumsrekord und einem Publikumsliebling sind die 30. Internationalen Theaterhaus-Jazztage zu Ende gegangen: 7500 Besucher zählte das erstmals über sieben Tage laufende Festival, das jeweils über die Osterfeiertage zur Heimat der Jazz-Fans der Region wird. Die Auslastung von rund 85 Prozent sei nicht nur Beleg für den großen Zuspruch und Ansporn gleichzeitig, sondern sichere auch die Wiederauflage 2018, freute sich Werner Schretzmeier, Leiter des Theaterhauses. Tags zuvor hatten Ack van Rooyen und Jasper van’t Hof beim „Dutch Evening“ begeistert, während Vincent Klink und das Eberhard Budziat Big Band Projekt mit der „Remstalsinfonie“ die Vielfalt des Kulturaustauschs feierten.

Mit Till Brönner hatte sich für den Abschluss einer der größten Namen angekündigt, die die deutsche Jazzszene zu bieten hat. Der Trompeter und Komponist ist insofern ein Phänomen, als er, obwohl dezidiert im Jazz verwurzelt, weit über die Grenzen des Genres hinausragt: Als einziger Künstler hat er den „Echo“ in drei Kategorien gewonnen - neben Jazz in den Sparten Pop und Klassik. Auch sein jüngstes Album „The Good Life“ sprang nicht nur wieder auf den Spitzenplatz der Jazz-Charts, sondern erreichte auch die Top Ten der Pop-Bestenliste.

Diese Nostalgie ist up to date

Noch einmal war der T1 vollbesetzt, als das über jeden Zweifel erhabene, mit Christian von Kaphengst (Bass), David Haynes (Drums), Bruno Müller (Guitar), Jasper Soffers (Piano) und Jo Barnikel (Keyboard) hervorragend besetzte Quintett den Auftritt mit „Condor“ aus der Filmmusik von Dave Grusin zu „Drei Tage des Condors“ von 1975 eröffnete und Brönner die Bühne betrat. Der milde Funk des Fusion Jazz, die Harmlosigkeit des Easy Listening machte sich breit, die hochprofessionelle Lightshow sprach Bände: Ein Bogen aus zehn Reflektorschirmen mit modernster LED-Technik in Vintage-Optik überwölbte das Geschehen. Die Schirme können im Kontrast zum Vorhang dahinter verschiedenste Stimmungen annehmen, verbreiteten meist jedoch goldenen Glanz, die Bühnenkante war mit Glühbirnensurrogaten illuminiert. Konstant produziert diese Kulisse in den folgenden gut zwei Stunden visuelles Futter für Mobiltelefone und signalisiert: Diese Nostalgie ist absolut up to date.

Wohltemperierte Spannung und gepflegte Hammond-Sounds dominieren in Wes Montgomerys bluesigem „Bumpin’“, erst mit Brönners Eigenkomposition „42nd & 6th“ springt der Funke über. Als Instrumentalist steht dem 45-Jährigen alles zu Gebote, die gesamte Bandbreite der Phrasierungen, ob Hot- oder Cool-Intonation - wobei er vorwiegend Letztere bedient, mit Dämpfer oder ohne, auch auf dem Flügelhorn - die Geschichte der Jazztrompete hat Brönner inhaliert, von Louis Armstrong über Chet Baker bis zu Miles Davis. Dennoch bleibt alles, was Brönner macht, stets berechenbar, ist er ein glänzender Stilist, der aber nur selten überrascht. So entsteht an manchen Stellen der Eindruck, dass es dieser Musik ein wenig an Geheimnis, an Eigensinn mangelt: ein Virtuose ohne Eigenschaften.

Eine gute Rolle spielt in diesem Zusammenhang Magnus Lindgren, dem die Aufgabe zukommt, dem Startrompeter mit Saxofon oder Traversflöte als Sparingpartner zu dienen. Tatsächlich kommt es zu einigen Szenen, in denen Lindgrens munter sprudelnde Kreativität Brönner animiert, weiter aus sich herauszugehen, ihn motiviert, noch „tiefer in den Taschen zu kramen, was sich da noch an unerhörten Klängen“ finden lasse, wie er sagt. Als Schlagersänger überzeugt Brönner weniger, vielleicht soll der Scat-Gesang seine sensible Seite untersteichen, aber seine Vokalisen wirken oft einfach nur kraftlos. Möglicherweise singt Brönner aber auch nur, damit noch mehr auffällt, wie makellos er als Trompeter agiert. Wie seine latent aggressiven Ansagen, in denen er gegen „Starlight Express“, die Rosenheim-Cops, George Michael und Martin Schulz austeilt, eigentlich lässlich, was auch für die einzige Zugabe gelten könnte: Der Zenit von „Happy“ ist längst überschritten, aber augenzwinkernd lassen die Musiker einen Funken „Birdland“ darin auftauchen.

Und so schloss sich dann der Kreis zu Manhattan Transfer, die am Beginn des Feuerwerks von Highlights standen, das die 30. Internationalen Theaterhaus-Jazztage über die Osterfeiertage in den vier Sälen der so kompakten wie kompetent bespielten Festivallocation am Stuttgarter Pragsattel abgebrannt haben.